Heute Und in Ewigkeit
kindlich gemalten gelben Sonne vor einem verschwommenen blauen Hintergrund. Ich trank zaghaft einen Schluck von dem starken, gesüßten Tee und war unsicher, wie er mir bekommen würde.
Nebraska reichte mir einen Butterkeks, und ich knabberte daran. »Schon besser?«
»Marginal. Gott sei Dank muss ich heute nicht ins Krankenhaus.«
»Deine Patienten sollten Gott ebenfalls dafür danken. Stell dir nur vor, wie die Sterblichkeitsrate in die Höhe schnellen würde, wenn du jetzt zur Arbeit gingest.«
Nebraska hatte also Sinn für Humor. Gut.
»Ich weiß nicht mal, wie du heißt«, sagte ich. »Habe ich dich denn nicht nach deinem Namen gefragt? Gütiger Himmel. Ich habe mit einem Mann geschlafen, an dessen Namen ich mich nicht erinnern kann.« Ich zog die Knie an und ließ den Becher dazwischensinken. »Ich hatte noch nie einen One-Night-Stand. Glaubst du mir das?«
»Ich heiße Drew. Abkürzung für Andrew. Andrew Winterson. Und ja, ich glaube dir.« Er nahm mein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und hob es an. »Obwohl ich dich für fähig halten würde, mich zu belügen, falls es notwendig wäre. Aber ich würde mich freuen, wenn du mich nie belügen würdest.«
»Ich habe dich im Geiste die ganze Zeit Nebraska genannt.«
»Woher weißt du, wo ich herkomme?«
»Meine Freundin Marta hat es mir gesagt. Du hattest es ihr erzählt. Und sie hat es mir erzählt.«
»Du hast dich nach mir erkundigt?«
»Ja.«
»Was hat sie sonst noch gesagt?«
»Dass du langweilig wärst. Marta findet gefährliche Typen anziehend, will aber einen reichen, gesetzten Mann heiraten. Ich nehme an, sie wird eine Menge Affären haben.«
»Zum Glück wusste sie nicht, dass ich reich bin. Sie hat allerdings recht. Ich bin langweilig.«
»Wirklich?«
»Langweilig?«, fragte er.
»Nein. Reich.«
»Eigentlich nicht, aber meine Familie steht finanziell besser da als die meisten anderen Leute. Mein Vater ist Reifenhändler mit mehreren Filialen.«
»Das ist wirklich langweilig.«
»Ja, aber es erlaubt meiner Mutter zu trinken, ohne dass die führenden Damen der Stadt sie verurteilen. Stattdessen berufen sie Mom in sämtliche Ausschüsse. Und sie kann den Winter in North Carolina verbringen und sich in Gin Tonic ergehen.«
»Ich bin gar keine Waise«, platzte ich heraus.
»Das habe ich auch nicht behauptet.«
»Ich erzähle aber allen, ich sei eine Waise. Meine Eltern seien bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als ich zehn Jahre
alt war. Aber das ist gelogen.«
»Warum behauptest du es dann?«
»Weil mein Vater meine Mutter umgebracht hat. Er sitzt im Gefängnis. Das habe ich nie jemandem erzählt, seit meine Schwester und ich aus dem Waisenhaus in eine Pflegefamilie gekommen sind. Keine Menschenseele soll das wissen.«
»Dann werde ich es niemandem erzählen.« Drew hob die Bettdecke an. »Rutsch rüber.«
»Ich rieche furchtbar«, sagte ich, machte ihm aber Platz.
»Nicht furchtbar. Allerdings auch nicht köstlich.« Als er einen Arm um mich schlang, spürte ich ihn von der Schulter bis in die Oberschenkel, und ein Aufzug schien durch meinen Bauch abwärtszufahren. »Aber ich komme aus Nebraska. Wir sind ein unglaublich tapferer Menschenschlag.«
Drew kam mir vor wie eine sehr seltene Spezies. Ein vertrauenswürdiger Mann, der mich erbeben ließ.
Drei Wochen später gestand ich, dass ich das Familiengeheimnis ausgeplaudert hatte. Ich saß an meinem Küchentisch und knüllte meine Serviette in der Hand, während ich auf Merrys Reaktion wartete. Ich wünschte, ich wäre bei Drew.
»Also ehrlich, wie konntest du es ihm einfach so sagen?« Merry kramte in meinem Kühlschrank herum. »Hast du keinen Orangensaft da?«
»Sei froh, dass ich überhaupt etwas zu essen und zu trinken im Haus habe«, erwiderte ich. »Es ist einfach so aus mir herausgesprudelt, ich habe mich nicht mal bewusst dafür entschieden.«
Ich war mir nicht schlüssig, ob Merry verstehen konnte, wie anders Drew war, ganz anders als der Rest der Welt. Es klang kitschig, so etwas zu sagen, aber bei ihm war ich sicher. Wir waren bei ihm sicher. Er war vertrauenswürdig, selbst was solche Dinge wie Geheimnisse anging.
Er gehörte zu den Männern, die einem Sachen schenkten, die man wollte, nicht Sachen, von denen sie meinten, dass man sie haben sollte.
Drew war ein ehrenhafter Mann. Vielleicht würde ich nie wieder jemanden wie ihn finden, schon gar nicht jemanden, der mich im Dunkeln zittern ließ und mich danach in der Sonne im Arm hielt.
»Dann
Weitere Kostenlose Bücher