Heute Und in Ewigkeit
konnte sie alle Täuschung loslassen. Sie würde nicht ständig an ihre erfundene Vergangenheit denken müssen. Wenn sie genug Bücher mitnahmen und Drew ab und zu im Hotel jemanden zum Pokerspielen finden konnte, würden sie schon glücklich sein. Solange sie nur zusammen waren.
In einem Augenblick vorhochzeitlicher Verletzlichkeit hatte Lulu mir gestanden, dass es ihr schönstes Hochzeitsgeschenk sei, den Namen unseres Vaters endlich ablegen zu können. Ich wusste genau, was sie meinte – ich wünschte auch, ich könnte Drews Namen annehmen. Nicht, dass ich meinem Vater je mit so etwas das Herz brechen würde.
Während ich darauf wartete, dass Lulu und Drew aus den Flitterwochen zurückkamen, packte ich meine Habseligkeiten in Kisten. Ich würde in das riesige, weitläufige Haus in Cambridge einziehen, das sie vor der Hochzeit gekauft hatten. Natürlich würden wir nicht richtig zusammenleben, sondern ich bekam eine abgetrennte Wohnung mit eigenem Eingang. Einer der vormaligen Eigentümer hatte das Haus in zwei Wohnungen geteilt. Die viktorianische Villa stand auf einem großen Eckgrundstück. Mein Eingang lag an einer Straße, ihrer an der anderen.
Es wirkte vielleicht erbärmlich, dass ich bei meiner Schwester und meinem Schwager einzog, aber Lulu und ich fühlten uns so am sichersten, und Drew hatte anscheinend nichts dagegen.
Als ich Drew kennengelernt hatte, war mir natürlich nicht entgangen, dass er und Lulu einander magnetisch anziehen mussten. Drews Leben war nicht ganz so dramatisch verlaufen wie Lulus, aber er war mit einer gewissen Verrücktheit aufgewachsen. Drews Vater machte die Südstaaten-Wurzeln seiner Mutter für ihre Trinkerei, ihre Affären und ihre ausufernde Persönlichkeit verantwortlich. Drews Mutter gab dem Staat Nebraska die Schuld an der starren, kalten Persönlichkeit ihres Mannes. Diese Mischung aus Feuer und Eis hatte für ein explosives Familienleben gesorgt.
Lulu und Drew liebten beide nichts so sehr wie Ruhe und Frieden.
Im neuen Haus gelangte man über eine kurze Treppe zu meinen drei mittelgroßen Räumen im ersten Stock. Ich vermutete, dass hier früher das Personal gewohnt hatte, aber da Drew für das gesamte Anwesen bezahlte, hatte ich damit kein Problem.
Er und Lulu betraten ihre wesentlich größere Wohnung über eine riesige Terrasse hinter dem Haus. Das Haus selbst hatte moderne Einbauten, die Lulu sehr gefielen, vor allem die nagelneue Küche und das große Bad. Zugleich hatte es aber auch seinen Altbaucharme bewahrt, wie etwa die üppigen Kranzleisten und Stuckdecken, die Drew in architektonisches Entzücken versetzten. Ich hatte jedenfalls genug poetische Schwärmereien über die antiken Türgriffe aus Bernstein gehört, um von diesem speziellen Thema für den Rest meines Lebens genug zu haben.
Lulu und Drew hatten auf ihrer Seite des Hauses Unmengen an Platz. Sie konnten Kinder bekommen, Büros einrichten, halbe Freizeitzentren und sogar einen Massagesalon, wenn ihnen der Sinn danach stand. Alles kein Problem für mich, denn die drei Zimmer reichten mir vollkommen. Ich hatte nicht die Absicht, mich fortzupflanzen. Mutterschaft macht eine Frau zur Gefangenen. Ich wusste noch, wie ich Mrs. Cohen dabei beobachtet hatte, wie sie auf ihre Enkelin Rachel aufgepasst hatte – sie hatte sich praktisch an das kleine Mädchen gefesselt, aus lauter Sorge, es könnte aus dem Fenster stürzen. Jedes Mal, wenn Rachel zu Besuch gekommen war, hatte Mrs. Cohen vorher alles weggeschlossen, das die Kleine verschlucken, woran sie ersticken oder sich vergiften könnte.
Wenn ich auf Rachel aufgepasst hatte, hatte ich kaum zu blinzeln gewagt aus Angst, die unmittelbare Todesgefahr auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Ich wollte keine Kinder, und obwohl ich nie ein Wort darüber verlor, hoffte ich, dass Lulu und Drew auch keine wollten. Wir drei würden prima zurechtkommen, ein kleines Grüppchen von Flüchtlingen vor der familiären Dysfunktion, das sich in Cambridge niedergelassen hatte.
Meine sich leerende Wohnung wirkte umso kleiner und dreckiger, je mehr ich einpackte. Jedes Poster bedeckte irgendein schmutziges Detail, das ich ganz vergessen hatte, wie etwa das Loch, das Quinn bei meinem letzten Trennungsversuch in die Wand geschlagen hatte. Ich hatte ihm gesagt, er solle gehen, und ihm damit gedroht, seine Frau anzurufen, falls er je wieder Kontakt zu mir aufnehme. Oder die Stelle, wo ich Manischewitz-Wein erbrochen hatte, nach einem halbherzigen Versuch von Lulu,
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