Heute Und in Ewigkeit
treffen uns heute Abend in Burke's Bar.
Ich hatte die Nachricht abgehört, nachdem Lulu gegangen war. Der Gedanke an eine Nacht in seinen Armen war so mächtig geworden, dass ich eine Tablette hatte nehmen müssen, um das ICH-WILL-IHN-SEHEN -Gebrüll in meinem Kopf abzustellen. Ich hatte meinen rasch schwindenden Valium-Vorrat hervorgeholt, die Tabletten erst aufs Bett gekippt, um sie zu zählen, und dann eine geteilt. Mein Arzt rückte auf meine Klagen über Rü ckenschmerzen hin nun mal nicht unbegrenzt Pillen heraus. Nachdem ich die Tablette geschluckt hatte, schenkte ich mir ein halbes Glas Chablis ein, füllte es mit Wasser auf, nippte daran und schaute fern, und jedes Mal, wenn das Telefon klingelte, stellte ich den Fernseher ein wenig lauter.
Ich zog mir das Shirt von der Brust und versuchte kühlere Luft darunterzufächeln, während ich in der Schlange wartete, schon ganz vorn. Das Top hatte einen hohen Kragen, um meine Narben zu verbergen, und lange Ärmel, damit ich als Frau so wenig Aufmerksamkeit erregte wie möglich.
Officer McNultys Grinsen zeigte deutlich sein Alter. Blendend weiße Zahnprothesen hatten die vertrauten, tabakgelben Zähne ersetzt.
»Merry, wie geht es dir?« Er durchsuchte mich nur sehr flüchtig nach Schmuggelware. »Ich habe von deinem Vater gehört, dass du jetzt eine Stellung bei Gericht hast.«
Ich nickte. »Ich arbeite mit den Opfern.«
Er nickte. »Schön, schön für dich.«
Er sagte das, als entspräche die Arbeit in der Strafjustiz für mich einer selbstverständlichen karmischen Neuordnung.
»Ich wünsche dir einen schönen Besuch«, sagte er. »Dein Vater freut sich immer so sehr darauf. Du bist ein gutes Mädchen.«
Alle wussten das, wenngleich Lulu es wie ein Schimpfwort aussprach.
Ich ging über den ewig gleichen Boden. Das fleckige Linoleum erinnerte mich an Blutflecken und Hirnspritzer – der Pfad zu meinem Vater.
Ein Grinsen breitete sich über Dads Gesicht, dasselbe verdammte Lächeln, jedes Mal. Hab mich lieb! Mach mich glücklich! Lass mich eine Stunde lang Vater sein!
Ich beugte mich vor und spürte seine Arme, die er um mich schlang. Dem Verbot zum Trotz schmuggelte er zu dem erlaubten Kuss auf die Wange meist noch eine Umarmung in die Begrüßung hinein. Irgendwann, Dad , warnte ich ihn jedes Mal. Irgendwann würden sie ihm das nicht mehr durchgehen lassen, dann würde irgendein neuer Wärter ihn rauszerren und ihm den Schlagstock auf den Rücken dreschen.
Dad roch nach Rauch und ein bisschen schal. Außerdem haftete ein metallischer Geruch an ihm. Vom Gitter seiner Zelle? Aus der Werkstatt, wo er Brillen für die Insassen herstellte? Wir sprachen immer noch kaum über sein Leben im Richmond und schlossen das Gefängnis aus unseren Unterhaltungen aus wie das Wissen um eine peinliche, verrückte Tante.
»Alles Gute zum Geburtstag, Dad.« Ich nahm seine Hand, drückte sie kurz und zog mich dann aus seinem eisernen Griff zurück. »Ich habe ein Päckchen für dich abgegeben. Ich hoffe, es schmeckt nach dem Röntgen noch genauso gut.«
»Du siehst toll aus, Süße.« Wir setzten uns, und er musterte mich über den Tisch hinweg. »Aber müde. Du übernimmst dich doch nicht wieder so, oder?«
»Wieder? Wann habe ich mich denn das erste Mal übernommen?«
»Mir kannst du nichts vormachen.« Er wirkte besorgt und bemühte sich, im Besuchsraum des Gefängnisses ein richtiger Vater zu sein.
Meine Augen brannten, bis ich mich wieder in den Griff bekam. In seinen Bartstoppeln zeigte sich ein wenig Grau. Der arme Dad war nie ganz glatt rasiert. Seine Rasierklingen mussten lange vorhalten. Wie lange er wohl die abgenutzte Klinge schon gebrauchte, die ihm das Gesicht zerkratzt hatte?
»Brauchst du etwas aufs Konto, Dad?«
Er schob meine Worte mit beiden Händen von sich. »Ich
komme zurecht. Schließlich arbeite ich.«
»Natürlich.« Ich würde ihm etwas Geld schicken, sobald ich nach Hause kam. Ich überlegte, wie viel ich noch auf dem Konto hatte. Dreihundert? Ich würde ihm zwanzig Dollar schicken.
»Also, wer ist der Kerl?«
»Welcher Kerl?«
»Wegen dem du diese dunklen Augenringe hast.«
Ich berührte die Haut unter meinen Augen.
»Hör mal, Süße, wer auch immer es ist, er tut dir nicht gut. Du bist doch nicht etwa wieder mit diesem Football-Spieler zusammen, oder?«
»Er ist kein Football-Spieler, Dad. Das war er mal. Er hat ein Fitnessstudio.«
»Studio-Schmudio. Der Kerl hat vor allem eine Frau und Kinder. Außerdem taugt er nichts.
Weitere Kostenlose Bücher