Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Titel: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Müller
Vom Netzwerk:
muß, kann ich, was ich bezahle, nicht essen.
    Mit der Sinnlosigkeit kam ich leichter durch als mit der Ziellosigkeit, statt Lügen in der Fabrik erfinde ich jetzt Ziele in der Stadt. Ich geh den Frauen in meinem Alter nach. Stundenlang bin ich in Konfektionsläden und probiere Kleider, die ihnen gefallen. Gerade gestern zog ich ein gestreiftes Kleid absichtlich mit dem Rücken nach vorne an, zupfte dran herum, legte die Hände als Kragen um den Ausschnitt, ließ die Finger hängen als Schleife. Das Kleid fing mir an zu gefallen. Womit ich nicht gerechnet habe, ich spürte mich weggehen von mir. Das Kleid sah aus, als müßte ich mich schnell von mir verabschieden. Da war mein Mund bitter, mir fiel nichts ein, was ich mir, in der kurzen Zeit, die ich noch hatte, sagen könnte. Ich wollte nicht klein beigeben vor meinem Verschwinden und sagte:
    Warum gerade jetzt, ohne meine Füße kommst du doch nicht weit.
    Ich sagte es laut, mein Gesicht lief rot an, ich will nicht zu denen gehören, die entstellt aussehen, weil sie laut mit sich reden. Manche singen. Daß jemand neben mir den Kopf schüttelt, weil ich das Denken mit dem Reden verwechsle, will ich nicht. Von Wildfremden gehört zu werden, blamiert noch mehr, als nicht gesehen und angerempelt zu werden. Obwohl sie mich gehört haben muß, zog eine Frau, deretwegen ich nicht hier war, den Vorhang meiner Kabine auf und legte kurzerhand ihre Tasche auf den Stuhl und fragte:
    Ist hier besetzt.
    Sehen Sie nicht, Sie reden doch mit mir, nicht mit der Luft.
    In dieser Aufregung hab ich die Frau, der ich nachgegangen war, aus den Augen verloren. Ich gehe Kleider probieren, um so schön zu werden, daß es mich gibt. In den Kleidern, die andere Frauen sich kaufen wollen, hätte ich nichts zu suchen, am wenigsten mich. Die Kleider strafen mich, ich werde häßlicher als die andere, wenn wir das gleiche anziehen. In der Fabrik zog ich die schönsten Kleider an und ging wie ein Perlhuhn durch die Verpackungshalle, bis zur Tür und zurück. Wenn Kleider für den Westen genäht wurden, war ich vor jeder Lieferung bei Lilli oben. Ich zog zwei, drei Modelle nacheinander an.
    Jetzt ist gut, sagte Lilli.
    Weil es streng verboten war. Bei Röcken, Hosen und Jacken nicht ganz so streng wie bei Blusen und Kleidern. Vor dem internationalen Arbeitstag am ersten Mai und noch einmal im August vor dem Tag der Befreiung vom faschistischen Joch konnten wir der Fabrik Kleider abkaufen. Die Büroleute kauften die meisten. Die Kleider sind eleganter und nicht teurer als im Laden, leider voller Webfehler und Ölflecken von den Nähmaschinen, sonst wären sie zu gut für unsre Haut. Viele kauften sich einen Sack voll. Lieber schick mit Webfehlern und Ölflecken, die nie mehr herausgehen, als die schlechten Kleider im Laden von Maus zu Maus. Ich konnte die Webfehler und Flecken nicht ausstehen, wußte obendrein, wie schön die Kleider sind, die wir nicht kaufen dürfen. Die Italiener, Kanadier, Schweden, Franzosen für jede Jahreszeit schön anziehen fürs leichte Leben, Zuschneiden, Steppen, Appretieren, Bügeln, Verpacken und dabei wissen, daß man das Fertige nicht wert ist. Sicher dachten sich da viele:
    Lieber ein paar grobe Webfehler und schwarze Ölflecken als nichts.
    Der Webfehler und Flecken wegen, und weil ich die Fabrik, in der wir den ganzen Tag zubrachten, nicht zu Haus im Schrank haben wollte, kaufte ich keine Kleider. Sonntags in der Ausschußware der Fabrik durch den Park spazieren, Eis essen im Café. Die Neidblicke auf diese Kleider, man fällt auf, jeder weiß, wo man arbeitet, woher mans hat.
    Wenn Lilli und ich nach der Arbeit auf den Korso fuhren, und ich, statt zu spazieren, in Läden ging, wartete sie draußen. Ich mußte mich nicht beeilen, Lilli war es gar nicht recht, wenn ich zu schnell wiederkam. Sie stand mit dem Rücken zum Schaufenster und schaute Himmel, Bäume, Asphalt an, bestimmt auch alte Männer. Ich mußte sie am Arm ziehen, als hätte ich gewartet, nicht sie auf mich. Ich sagte:
    Na, komm.
    Hast du es eilig, fragte sie, sind wir nicht beim Spazieren.
    Wir können langsam gehen, nur weg von hier.
    Haben dir die Kleider nicht gefallen.
    Und was gefällt dir hier.
    Sie schnalzte mit der Zunge:
    Weiche Schritte und der Rücken ein wenig gebeugt, das gefällt mir.
    Und.
    Was und.
    Wieviele hast du gesehen, fragte ich.
    Ihr Desinteresse für Läden hatte nichts mit der Fabrik zu tun. Lilli hatte auch vorher nichts übrig für Kleider. Trotzdem sahen die Männer ihr

Weitere Kostenlose Bücher