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Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Titel: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Müller
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Ich brauche den großen Knopf meiner Bluse und die schlaue Lüge, sonst nichts. Was ich mit mir vorhab, wenn ich streune, weiß ich weniger, als was Albu von mir will.
    Es war dumm von mir, heut morgen vor acht den Schwalben zuzusehen, wenn Albu Punkt zehn auf mich wartet. Ich will nicht an Schwalben denken. An gar nichts möcht ich denken, weil ich nichts bin, außer bestellt. Manchmal glaub ich, die Schwalben fliegen nicht, sie fahren oder schwimmen. Vorigen Sommer hatte Paul noch sein rotes Motorrad, eine tschechische Java. Wir fuhren jede Woche ein-, zweimal hinter die Stadt an den Fluß. Der Weg durch die Bohnenfelder, das war Glück. Mir wurde der Kopf umso leichter, je mehr Himmel über den Weg kam. Links und rechts lief ein Gewirr aus roten Blüten, die zuckten beim Fahren. Man sah nicht, daß jede Blüte zwei runde Ohren und offene Lippen hat, aber ich wußte es auch so. Es waren Spinnbohnen ohne Ende, man sah keine Reihen wie in den Maisfeldern. Auch wenn jeder einzelne Stengel schon dürr ist, und die Blätter zerbrechen vom Wind, sieht ein Maisfeld im spätesten Sommer immer noch wie frisch gekämmt aus. In Maisfeldern wird mir der Kopf nie leicht, auch wenn der Himmel fliegt. Nur in den Bohnenfeldern konnte ich so dumm werden vor Glück, daß ich von Zeit zu Zeit die Augen schließen mußte. Und wenn ich sie wieder öffnete, hatte ich schon viel verpaßt, die Schwalben flogen längst in einer anderen Bahn.
    Ich hielt mich an Pauls Rippen fest, pfiff das Lied vom Laub und Schnee und hörte nur das Motorrad, nicht mich. Ich pfeife sonst nie, weil man das als Kind gelernt haben muß, und ich habe als Kind nie gepfiffen. Ich kann gar nicht pfeifen. Und seitdem mein erster Mann auf der Brücke pfiff, zieh ich den Nacken ein, wenn jemand pfeift. Aber in den Bohnenfeldern hab ich selber gepfiffen. Deshalb war es Glück, weil mir alles, was ich kann, nur halb so gut gelingt, wie im Bohnenfeld das Pfeifen. Ich war in den Spinnbohnen haargenau so dumm wie das Glück. Am Fluß gelang mir das Glück nie, das glatte Wasser hat mich beruhigt, sogar wenn mir die Brücke einfiel. Ausgeschlossen, daß mit Ruhe Glück zu machen ist. Wenn wir ans Ufer kamen, war ich verlegen und Paul ungeduldig. Er freute sich auf den Fluß, ich auf den Rückweg durch die Bohnen. Er stellte sich bis zu den Knöcheln ins Wasser und zeigte mir eine schwarze Libelle. Ihr Bauch hing zwischen den Flügeln wie eine gläserne Schraube. Ich zeigte zu den Brombeeren am Ufer neben mir, sie glänzten schwarz gebündelt. Und drüben am Ufer setzten sich die schwarzen Stare auf bleiche, viereckige Strohballen ins Stoppelfeld. Die zeigte ich Paul nicht, weil ich an die Flecken der Schwalben im Himmel dachte und nicht verstand, wie sich das Schwarze in diesem gelbversengten Sommertag verteilt. Ich lachte verwirrt, hob ein Stück Baumrinde aus dem Gras und warf es Paul vor die Zehen. Dann sagte ich: Hör mal, so schnell, wie es scheint, können die Schwalben gar nicht fliegen, sie tricksen.
    Paul fischte die Rinde mit den Zehen und drückte sie unters Wasser. Als er den Fuß wegnahm, war sie von sich aus gleich wieder oben, glänzend und schwarz. Er sagte:
    Aha.
    Ganz kurz hob er zwei Augen, es reichte, um die dunklen Tupfen drin zu sehen. Wozu noch fragen, welches schwarze Obst in seinen Augen hockt, wenn ihm nicht einmal die Schwalben der Rede wert, und seine Gedanken ganz woanders sind als seine Zehen. Es hing Wind in den Eschen, ich horchte ins Laub, und Paul vielleicht aufs Wasser. Er wollte nicht, daß wir reden.
    Ich hab das Aha am nächsten Tag in der Fabrik an Nelu ausprobiert, als er mit einer Liste zwischen Daumen und Kaffeetasse an meinen Tisch kam. Er redete von den Knopfgrößen für die Damenmäntel, die wir diesen Monat für Frankreich nähten. An seinem Mund bewegten sich die Schnurrbartspitzen wie Schwalbenflügel. Ich ließ ihn ein paar Sätze in mein Gesicht sagen. Als er beim Wochenplan angekommen war, zählte ich an seinem Kinn die Haare, die er beim Rasieren vergessen hatte. Ich hob den Blick und verlangte nach seinen Augen. Als unsere Pupillen sich getroffen hatten, sagte ich blitzschnell:
    Aha.
    Nelu schwieg und ging zu seinem Tisch. Auch andere Wörter hab ich ausprobiert, zum Beispiel: Jee und Hmm. Aber Aha war nicht zu übertreffen.
    Als ich mit den Zetteln erwischt worden war, leugnete er, daß er mich angezeigt hat. Leugnen kann jeder. Ich hatte mich von meinem ersten Mann getrennt, als die weißen Leinenanzüge für Italien

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