Heute wär ich mir lieber nicht begegnet
verpackt wurden. Nach unserer zehntägigen Dienstreise wollte Nelu weiter mit mir ins Bett. Ich hatte mir aber vorgenommen, in den Westen zu heiraten und steckte in zehn Gesäßtaschen je einen kleinen Zettel: Ti aspetto, mein Name und meine Adresse. Der erstbeste Italiener, der sich meldet, sollte es sein.
Meine Zettel wurden auf der Sitzung, bei der ich nicht dabei sein durfte, als Prostitution am Arbeitsplatz abgeurteilt. Lilli erzählte mir, Nelu habe für Landesverrat plädiert, aber er konnte nicht überzeugen. Da ich kein Parteimitglied, und dies mein erstes Vergehen war, beschloß man, mir die Gelegenheit zur Besserung zu geben. Ich wurde nicht entlassen, für Nelu eine Niederlage. Der Verantwortliche für ideologische Arbeit brachte mir zwei schriftliche Verweise ins Büro. Das Original mußte ich ihm zur Kenntnisnahme unterschreiben, die Kopie blieb auf meinem Schreibtisch.
Zum Einrahmen, sagte ich.
Für Nelu war es kein guter Witz. Er saß auf seinem Stuhl, spitzte einen Bleistift.
Was willst du mit den Italienern, die kommen dich vögeln, schenken dir Strumpfhosen und Deodorant und fahren wieder zu ihren Springbrunnen nach Haus. Fürs Lutschen gibts zusätzlich Parfüm.
Ich sah gewellte Holzrüschen und schwarzes Mehl aus seinem Bleispitzer fallen und stand auf. Ich hielt den Verweis über seinen Kopf und ließ ihn aus. Das Blatt segelte und machte, als es unter sein Kinn auf den Tisch fiel, kein Geräusch. Nelu drehte den Kopf zu mir und versuchte zu lächeln, bleich wie ein Wurm. Dann. stieß er aus Versehen mit dem Ellbogen an den frischgespitzten Bleistift. Er rollte vom Tisch, und wir sahen ihm zu, hörten, wie er klingelte, als er am Boden aufschlug. Nelu bückte sich, damit ich nicht mehr seine Backenknochen mahlen sehe. Die Spitze war abgebrochen. Er sagte:
Er ist auf den Boden, nicht an die Decke.
Mich wundert es auch, sagte ich, bei einem wie dir ist alles möglich.
Ich war an dem Tag nach drei Tagen Verhöre wieder in der Fabrik. Nelu fragte keinen Mucks. Er war zu mehr imstande, als ich dachte. Auf den drei Zetteln, die man später in den Hosen für Schweden fand, stand: Viele Grüße aus der Diktatur. Die Zettel waren genau wie meine, aber nicht von mir. Ich wurde entlassen.
Auch wenn dicker Schnee lag, fuhren wir mit der Java zur Arbeit. Paul fuhr elf Jahre Motorrad und hatte nie einen Unfall, obwohl er trank. Er kannte sich in den Straßen aus wie im Inneren seiner Hand, mit geschlossenen Augen hätte Paul unsere Fabriken gefunden. Ich war eingemummt, Laternen- und Fensterlichter glitzerten, im Gesicht biß der Frost, die Lippen wie gefrorene Brotkruste, die Wangen glattkalt wie Porzellan. Himmel und Straße zugeschneit, wir fuhren in einen Schneeball. Ich lehnte mich an Pauls Rücken, drückte das Kinn auf seine Schulter, damit mir der Schneeball durch beide Augen laufen kann. Mit starren Augäpfeln sind die Straßen am längsten, die Bäume am höchsten, ist der Himmel am nächsten. Ich hätte fahren wollen ohne Ende, traute mich nicht zu blinzeln. Die Ohren brannten, die Finger und Zehen. Der Frost bügelte, nur Augen und Mund blieben kalt. Das Glück hatte keine Zeit, wir mußten vor dem Erfrieren ankommen und waren jeden Morgen pünktlich halb sieben am Tor der Konfektionsfabrik. Paul ließ mich absteigen. Ich schob mit einem rotblauen Finger Pauls Mütze hoch, küßte ihn wie einen Porzellanhund auf die Stirn und zog sie wieder über seine Augenbrauen, bevor er weiterfuhr an den Stadtrand zu seiner Motorenfabrik. Wenn auf den Augenbrauen Rauhreif saß, dachte ich:
Nun sind wir alt.
Nach den ersten Zetteln hatte ich mir Italien gänzlich aus dem Kopf geschlagen. Durch Exportkleider konnte man keinen Marcello kriegen, man brauchte Beziehungen, Kuriere und Mittelsmänner, nicht Gesäßtaschen. Statt einen Italiener bekam ich den Major. Meine Dummheit schrie mich von innen an, Selbstvorwürfe wie Ohrfeigen, ich war ausgestopft mit Stroh. Ich hatte mich satt, nur so konnte ich jeden Tag weiter mit Nelu im Büro sitzen, Rubriken anstarren und ausfüllen, bis die zweiten Zettel kamen. Ich war mir noch lieb, nur so konnte ich gerne Straßenbahn fahren, mir das Haar kurzschneiden, neue Kleider kaufen. Und ich tat mir auch leid, nur so konnte ich auf die Minute pünktlich bei Albu erscheinen. Und gleichgültig war ich mir auch, mir schien, als hätte ich die Verhöre verdient, um meine Dummheit zu strafen. Aber nicht aus den Gründen, die Albu vorbrachte.
Durch dein Verhalten werden
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