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Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Titel: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Müller
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das Haar vom Tisch. Er machte mich obszön.
    Einmal kommt die Putzfrau nach Dienstschluß ins Büro und wischt mit ihrem Lappen Blutspritzer statt Staub, sagte ich zu Lilli, es dauert nicht mehr lange, einmal fahr ich aus der Haut und schlag diesen Menschendreck tot.
    Lilli schlenkerte mit dem Arm, warf die Hand weg und sagte:
    Untersteh dich. Leg ihm doch das Messer auf den Tisch und sag, es wär so schön an seinem Hals, es tut nicht weh. Und geh ein bißchen weg, wie auf der Brücke, daß er sich nicht geniert. Der will deine Wut soweit bringen, und du läßt sie schüren von ihm, du wartest regelrecht darauf. Wenn man sich im Zaum hält, vergißt man sich nicht. Man kann es lernen.
    Lillis Schlehenblick drang in meine Augen und behauptete sich. Und darunter stand ihr glatter Hals. Ich wußte von mir und meinem Mann auf der Brücke, wie schnell man aus der Haut fährt und den andern in den Tod schickt, wenn er zu schwer an einem hängt. Und daß es mit Nelu wieder so kommt.
    Als Lilli mich abtat mit dem Schlenkern des Arms, kam Röte in ihre Wangen. Ihre Nase zuckte, blieb kühl und weiß. Während ich die ganze Lilli haßte, wie sie vor mir stand, mußte ich mir denken:
    Diese Nase ist schön wie eine Tabakblüte.
    Für Lilli blieb ich eine Anstifterin, ich hatte sie erschreckt, sie drehte die Brücke gegen mich. Nie hätt ich wissen wollen, wie Lilli ihrer Mutter glich im Haß. Beim Begräbnis hörte man die Erde klingen auf dem Sarg. Lilli wurde zugedeckt, und diese Mutter schnauzte mich an, zum Verwechseln mit Lillis Mund.
    Ja, man hält sich im Zaum, dachte Lilli, man kann es lernen. In meiner Huddelei sah sie den Lauf der Fäden besser als ich. Und ich glaubte, in ihrem Durcheinander klarer zu sehen. Für kurze Zeit hätten wir manchmal tauschen sollen, sie und ich. Stattdessen tauschten sie und ihre Mutter. Man fährt nicht aus der Haut und kommt an der Grenze durch, dachte sie. Sich im Zaum halten, auf der Flucht treffen die Kugeln nur ängstliche Haut. Sie wollte es lernen. Damals, als sie mir verordnete, mich vor Nelu zu beherrschen, begann Lilli gerade, mit einem sechsundsechzigjährigen Offizier zu schlafen. Ein paar Wochen später fiel ihnen ein, an der ungarischen Grenze zu fliehen. Er wurde verhaftet und sie totgeschossen, törichtschlaue Lilli.
    Einmal hat Lilli mich in den Sommergarten des Militärkasinos mitgenommen und mir ihren Offizier vorgestellt. Er war in Zivil, in einem kurzärmligen feingestreiften Hemd, die graue Sommerhose saß unter den Armen, keine Rippen, keine Hüften. Mit seiner tiefen, leisen Stimme sagte er: Habe die Ehre, mein Fräulein.
    Er gab mir einen Handkuß. Einen durch und durch geübten Handkuß der alten, königlichen Zeit, trocken war er und weich und mitten auf meiner Hand. An den Tischen rundherum saßen junge Männer in Uniformen. Natürlich fiel Lilli hier auf, die Uniformierten waren scharf auf schöne Frauen, sie bewarfen Lilli mit Streichholzköpfen. Sie spürten, daß der Alte sich an ihr vergriffen hatte, nicht an mir.
    Es war lange schon kein Krieg mehr, die militärische Ausbildung verwässerte im Müßiggang. Er mußte aufgehalten werden durch Feinarbeit, die jeden einzeln draufgängerisch machte: die Eroberung schöner Frauen. Der Grad der Schönheit war abzulesen im Gesicht, an der Welle des Hinterns, der Waden zueinander, der Brüste. Die Brüste hießen Apfel, Birne und Fallobst, je nach dem Stand der Brustwarzen. Frauen erobern ersetzt das Manöver, sagte man den Soldaten. Zwischen Hals und Schenkeln muß das Drum und Dran stimmen. Die Beine sind auseinander, vor dem Gesicht schließt man, wenn die Sache läuft, beide Augen. Beine und Gesicht sind nicht alles, aber die Brüste sind wichtig. Apfel lohnt sich, Birne geht noch. Fallobst kommt für den Soldaten nicht in Frage. Eroberungen, sagte man, ölen die Körperscharniere und das innere Gleichgewicht. Das verbessert auch die Harmonie in der Ehe. Der alte Offizier hatte Lilli über die Bekämpfung des Müßiggangs im Frieden aufgeklärt. Auch er hatte immer wieder Manöver, bis seine Frau starb, sagte Lilli. Sie war fünfzig und er sechs Jahre älter. Es gab keine mehr, der man verheimlichen mußte, daß die süßliche Müdigkeit seiner zufriedenen Arbeit aus fremden Betten kommt und nicht aus den Kasernen. Nach ihrem Tod ging er täglich auf den Friedhof, Frauen hinterher zu sein wurde schal.
    Alle Frauen, die ich kannte, hatten auf einmal zirpende Stimmen und den Geschmack saurer Trauben, sagte er,

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