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Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Titel: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Müller
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besonders die ganz jungen. Auf dem Asphalt zwischen Kaserne und Kasino, auf Stöckelschuhwaden trippelte das Leben. Auf dem Leintuch waren sie barfuß, schleimig und stöhnend. Jede Sekunde war gut zum Sterben, er hatte Angst, sie tun es unter ihm.
    Für sich genommen war jeder Uniformierte in diesem Sommergarten sogar vor Birnen und Fallobst ein Stümper. Aber Lilli hatte kleine harte Sommeräpfel. Mit jedem von denen wär Lilli nach einem Satz fertig gewesen. Sie ahnten es, darum übten sie Lillis Eroberung alle zusammen im Regiment. Nach ihrer Ansicht hatte Lillis Offizier seine Scharniere nicht mehr zu ölen, war über die Zeiten der Feinarbeit hinaus, seine Ablösung war fällig. Sie drängten ihn, abzusteigen von Lillis schönem Fleisch. An den Fingern, die mit Streichholzköpfen warfen, glitzerten die Eheringe in der Sonne, und in den Augen, die den Fingern hinterher sahen, glitzerten Blicke wie nasse Kugeln. Der Alte stellte den Aschenbecher neben seine Hand und sagte:
    Die sind krank, wir hätten woanders hingehen sollen.
    Er sammelte die Streichholzköpfe vom Tisch und warf sie in den Aschenbecher. Seine Hände waren weiß und dünngliedrig wie bei einem Apotheker. Weder er noch Lilli regten sich auf sie täuschten keine Ruhe vor, sie hatten Geduld. Ich begriff nichts, soviel Geduld hat man nur, wenn man weiß, daß man sie nicht mehr lange braucht. Aber sein Gesicht war noch glatt, seine Schläfen pochten im Schatten des Sonnenschirms wie fleckiges Papier. Wie Lilli ihn ansah und nichts zurücknahm, das kannte ich nicht. Ihre Blicke und seine, wie Schlehen in stilles Wasser fallen, so war das. Der Bauch zog ihn beim Sitzen nach vorn, als er Lillis Hand nahm. Ich dachte, jetzt wird er zornig, weil noch zwei Streichhölzer auf den Tisch flogen. Mit der freien Hand sammelte er auch diese ein und war sich Lillis Hand so gewiß, daß er auf einmal leise für Lilli zu singen begann :
    Kommt ein Pferd in den Hof des Lagers
    hat ein Fenster im Kopf
    siehst du bläulich den Wachturm stehen ...
    Daß er überhaupt sang, so tief und wiederum gar nicht in sich hineinschauen ließ, war schon genug. Daß er dieses Lied kannte, gab mir einen Stich. Mein Opa sang es auch, und er hatte es aus dem Lager. Lilli und ich waren zu jung, er verließ sich darauf. Oje, wie wär ihm die Zunge hängen geblieben, wenn ich mitgesungen hätte. So aber klang das Lied hier am Tisch verlegen, nur weil ich zwischen Lilli und ihm saß und mithörte. Ich sah die durchgewetzten Stellen neben den Speichen des Sonnenschirms. Wir saßen unter einem Rad, und ich störte ein Geheimnis. Lilli war kein Offiziersvergnügen, er liebte sie. Und als er das Lied abbrach, ließ ich Lilli bei ihm im Kasino sitzen und lief benommen durch die Stadt. Sie müssen die Flucht schon damals im Kopf gehabt haben. Er hatte zwei erwachsene Söhne in Kanada, er wollte mit Lilli dorthin.
    Die Sonne stach, grünes Laub flatterte mit gelbem in den Linden, auf den Boden fiel nur gelbes. Ob ich wollte oder nicht, Grün zielte auf Lilli und Gelb auf ihn.
    Dieser Mann ist für Lilli zu alt.
    Ich stieß an Passanten, sah sie zu spät. Ich war sturzallein an diesem Nachmittag, und das hielt an, bis zum nächsten Morgen in der Fabrik, als mich Lilli zu sich rief, um über den Offizier zu reden.
    Seit den Zetteln durfte ich nicht mehr hinauf in die Verpackungshalle. Lilli wartete, als ich die Treppen hochkam, im Flur. Wir gingen nach hinten in eine Ecke, sie setzte sich auf die Fersen, und ich lehnte die Schulter an die Wand und sagte:
    Im Gesicht ist er jung, aber in seinem Bauch steht schon die kugelrunde Abendsonne.
    Da hob Lilli den Kopf ganz hoch, stellte die Fingerspitzen auf den Boden und machte große Augen. Ich hatte sie gekränkt. Ihren Hals hinauf schwoll eine Ader, ihr Mund wurde hart für Geschrei. Aber Lilli zog mich an der Hand zu sich hinunter, bis auch ich vor ihr in der Kniebeuge saß und mich an ihrer Hüfte festhielt. Und weil ein Mann mit einem Arm voller Kleiderbügeln an uns vorbeischlurfte und so tat, als sähe er uns nicht, flüsterte Lilli:
    Wenn er liegt, ist die Abendsonne flach wie ein Kissen.
    Ich sah Lillis Füße. Wenn der zweite Zeh länger als der große ist, heißt er Witwenzeh. Bei Lilli war es so. Sie sagte:
    Er nennt mich Kirsche.
    Das paßte nicht zu ihren blauen Augen. Und als der Mann sich mit den Kleiderbügeln immer mehr von uns entfernte und die Tür der Verpackungshalle hinter sich geschlossen hatte, sagte Lilli:
    Die Kirsche nimmt

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