Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Titel: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Müller
Vom Netzwerk:
alle Frauen unseres Landes im Ausland zu Huren gemacht.
    Wieso werden, die Zettel sind nicht nach Italien gekommen.
    Dank der Fürsorge deiner Kollegen, sagte er.
    Wieso Hure, ich wollte nur einen Italiener, und den wollte ich heiraten, Huren wollen Geld, nicht heiraten.
    Das Fundament der Ehe ist die Liebe, nur Liebe, weißt du überhaupt, was das ist. Du wolltest dich den Marcellos verkaufen wie ein Dreck.
    Wieso Dreck, ich hätte ihn geliebt.
    Ich hatte es hinter mir, ging wieder auf der Straße. Sommerhelle draußen, und alles machte seinen Lärm. In mir knisterte das Stroh. Wahrscheinlich hätt ich diesen Italiener nicht geliebt, aber er hätte mich mit nach Italien genommen. Ich hätt versucht, ihn zu lieben. Wenn nicht, wär mir ein anderer über den Weg gelaufen, Italiener gibt es dort genug. Wenn man sucht, findet sich immer einer, den liebt man dann. Stattdessen bestellte mich Albu, so oft er wollte. Und in der Arbeit sah mir Nelu auf die Finger. Ich redete mir alle Männer aus. Gerade dann blieb ich hängen an Paul, als ich auf Abwehr stand. Ich glaub, bei mir gleicht die Abwehr dem Verlangen, mehr als die Suche. So muß es gewesen sein, deshalb krallte ich mich an. Nicht jeder, aber auch ein anderer als Paul, hätte mir zeigen können, wie Abwehr ins Begehren zieht. Überdrüssig, aber ohne Halt, so muß ich herumgelaufen sein, denn an einem Sonntag lernte ich Paul kennen, und blieb am Montag. Und am Dienstag zog ich mit Sack und Pack zu ihm in den verrutschten Turmblock.
    Es fiel mir jeden Morgen schwerer, ins Büro zu gehen. Vor dem Fabriktor hielt Paul seine Java mit beiden Händen fest, wartete mit einem Lächeln aus Gewohnheit auf meinen Stirnkuß und sagte:
    Du mußt so tun, als wäre Nelu nicht da.
    Ja, das kam schnell aus seinem Mund. Aber acht Stunden so tun, als hingen zwei Schnurrbartspitzen hinterm Schreibtisch in der Luft, wie soll das gehen.
    In Nelu steckt soviel Dreck, sagte ich, man sieht nicht hindurch.
    Und das Motorrad brummte, wirbelte Schnee um die Räder, oder Staub. Die halbe Straße weit wollte ich Paul mit den Augen ans Tor zurückziehen, jeden Morgen noch etwas sagen, was man mitnehmen kann für den ganzen Tag zwischen die Maschinen. Doch wir sagten uns immer dasselbe.
    Er: Du mußt so tun, als wäre Nelu nicht da.
    Ich: Ich denk an dich. Reg dich nicht auf, wenn man deine Kleider stiehlt.
    Das schnelle Wegfahren, der Katzenbuckel seiner Jacke, wenn der Wind sie an der Straßenecke aufblies. Jeden Morgen ging ich gegen mich selbst in die Fabrik hinein. Bei Nelus Anblick riß mir schon der Verstand. Morgens grüßten wir uns nicht. Dennoch meinte Nelu ein, zwei Stunden später, man müsse etwas reden, wenn man acht Stunden zusammensitzt. Ich hätte nicht gemußt, nur er hielt das Schweigen nicht aus. Er redete vom Plan, ich sagte:
    Aha.
    Hmm und Jee und Aha.
    Wenn alles nichts nützte, wurde ich gesprächiger. Ich hob die kleine Vase von seinem Tisch und sah durch ihren dicken Boden den rotgrünen Stiel der Rose im Wasser entlang und sagte:
    Mensch, was willst du mit dem Plan, man darf ihn doch gar nicht erfüllen. Wenn er einmal erfüllt werden kann, wird er schon am nächsten Tag erhöht. Dein Plan ist eine Staatskrankheit.
    Nelu zupfte an seinem Schnurrbart und rieb ein ausgerissenes Haar zwischen den Fingern. Es war gewellt. Er sagte:
    Gefällt dir das.
    Wenn du dir jeden Tag eins ausreißt, sieht dein Gesicht bald wie eine Gurke aus, sagte ich.
    Sei ruhig, man sieht dir doch an, daß du an Schamhaar denkst.
    Aber nicht an deines, sagte ich.
    Weißt du, warum die Italiener immer Taschenkämme bei sich tragen, weil sie im Schamhaar ihren Schwanz nicht finden, wenn sie pissen müssen.
    Du trägst doch auch einen, aber umsonst. Das Zeug zum Italiener hast du eben nicht.
    Dieses Zeug hab ich gesehen, ich war schon in Italien zum Unterschied von dir.
    Aha. Hast du dort auch spioniert, fragte ich.
    Ja, ich dachte an Schamhaar, er zwang mich an seines zu denken, wenn er vom Plan sprach. Nelu legte auch dieses Haar auf meinen Schreibtisch, genau in die Mitte, wo mittlerweile eine Kerbe im Holz war, nicht von mir. Er hatte den Tisch wahrscheinlich ausgemessen und die längste Entfernung zum Rand gesucht. Ich wollte sein gewelltes Haar nicht anfassen, hatte nicht gleich das Lineal zur Hand, um es rasch vom Tisch zu schieben. So tat ich mal wieder, was er am liebsten sah, ich blies das Haar weg. Er konnte lachen, weil ich den Mund spitzte. Erst nach dem dritten, vierten Mal Blasen fiel

Weitere Kostenlose Bücher