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Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Titel: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Müller
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schlafen und sagte es. Er ließ sie zappeln, sie gab nicht nach. Eines Tages, als Lillis Mutter zur Frisöse fuhr, fragte Lilli ihn, wielange er noch ausweicht. Er schickte sie Brot kaufen. Es war keine Schlange im Laden, sie hatte ihr Brot in der Hand und war schnell zurück.
    Wo soll ich jetzt noch hingehen, damit du dich beherrschen kannst, fragte sie.
    Und er fragte zurück, ob sie sicher ist, daß sie ein schweres Geheimnis aushält.
    Ein Kind ist nicht leer, sagte Lilli zu mir, ich war ausgewachsen. Ich legte das Brot auf den Küchentisch, zog das Kleid so schnell über den Kopf wie ein Taschentuch. Alles fing an. Zwei Jahre, fast jeden Tag außer sonntags und immer in Eile, nur in der Küche, die Betten haben wir nicht angerührt. Er schickte meine Mutter in den Laden, mal war die Schlange lang, mal kurz, geschnappt hat sie uns nie.
    Zu Lillis Begräbnis trauten sich, außer mir, nur drei Personen aus der Fabrik. Zwei kamen von sich aus, Mädchen aus der Verpackungsabteilung. Alle anderen wollten mit dem Ende einer Flucht nichts zu tun haben. Die dritte Person war Nelu, er kam im Auftrag. Eines der beiden Mädchen zeigte mir Lillis Stiefvater. Er trug einen schwarzen Regenschirm auf dem Arm. Es sah nicht nach Regen aus an dem Tag, der Himmel war blau hinaufgebogen, die Friedhofsblumen rochen nach fliegendem Wind, nicht stechendschwer wie vor einem Regen. Und die Fliegen gingen an die Blumen und flogen einem nicht zudringlich um den Kopf wie vor Gewittern. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob der Regenschirm bei dem Wetter einen Mann vornehm oder hochstaplerisch machte. Eines war sicher, er machte ihn fremd. Er glich einem Flaneur, aber auch einem Gauner mit routinierten, krummen Wegen, den der tägliche Spaziergang nicht der Blumen wegen zur selben Uhrzeit auf den Friedhof führt.
    Nelu hatte einen Wickenstrauß, weiß zerzauste Blumen. Schnee am Stiel war in seinen Händen so falsch wie der schwarze Schirm. Ich ging zu Lillis Stiefvater und stellte mich nicht vor. Er spürte, wer ich bin.
    Sie kannten Lilli gut.
    Ich nickte. Vielleicht sah er in der Luft vor meiner Stirn, daß ich an seine Liebe in der Küche dachte. Er fühlte sich mir näher als ich ihm, er neigte sich für die Umarmung. Ich blieb steif, und er machte sich wieder gerade. Sein Regenschirm baumelte im Rückzug, da streckte er die Hand nach vorne zur Begrüßung aus, den Arm hielt er gebogen. Seine Hand war trocken und holzig. Ich fragte:
    Wie sah Lilli aus.
    Er vergaß den Schirm und ließ ihn ans Handgelenk rutschen. Im letzten Moment fing er ihn mit dem Daumen.
    Unter dem Holzsarg ist einer aus Zink, sagte er, der war zugeschweißt.
    Er hob nur das Kinn, ließ die Lider über den Augen, als er flüsterte:
    Schauen Sie dort, die vierte von rechts, das ist Lillis Mutter, gehen Sie hin.
    Ich ging zu der Schwarzgekleideten, die er, zur Liebe in der Küche passend, Lillis Mutter nannte, nicht meine Frau. Drei Jahre teilte sie mit Lilli. Sie bot die gelben Wangen schnell nacheinander an, ich küßte sie weit außen, halb auf dem schwarzen Kopftuch, mit dem Mund. Auch sie spürte, wer ich bin:
    Nicht wahr, Sie wußten es. Ein Offizier und hat nicht mehr Verstand.
    Ich dachte an die Küche. Und woran sie. Im Rundgang der Trauernden warf Nelu seine weißen Wicken auf den Sarg und einen Klumpen Erde hinterher. Ich hätt ihm wenigstens den Erdklumpen aus der Hand schlagen wollen, bevor er den Sarg traf, wenigstens den. Er nickte mir zu. Ich weiß nicht, was Lillis Mutter dann spürte.
    Auf Sie hätte Lilli gehört. Besser, Sie gehen jetzt.
    Der Haß war ihr entschlüpft. Er schickt mich zu ihr, und ich gehe hin. Sie schiebt die Schuld auf mich und schickt mich weg, und ich gehe. Wie kommen die beiden dazu, wieso sag ich nicht:
    Hören Sie, ich bleib solang ich will.
    Auf dem Boden standen die vielen mit Blattmustern bestickten Samtschuhe von Lillis Dorfverwandten, die weißen Strümpfe an Zehen und Fersen dreckig von der Erde. Dahinter Nelu, er lispelte:
    Psss, hast du Feuer.
    Er hielt die Zigarette in der geschlossenen Hand, am Daumen schaute der Filter heraus.
    Hier raucht man nicht, sagte ich.
    Warum, fragte er.
    Mir scheint, du bist nervös.
    Bist du nicht nervös.
    Nein.
    Hör auf, bei diesen Dingen hat jeder zu nahe ans Wasser gebaut.
    Welche Dinge, fragte ich.
    Na, vor dem Tod.
    Du bist doch zuständig für Italien, Lilli wollte aber nach Kanada.
    Hast du einen Rappel.
    Sag mal, hältst du alles aus im Schädel, sogar frische Erde.
    Das ging

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