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Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Titel: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Müller
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der Tod daherkommt wie der geschenkte Teil des Lebens. Ich hatte seit dem Tanzabend im Restaurant mit meinem ersten Mann nicht mehr getanzt, und mit Paul noch nie. Ich hätte nach dem Tanzen mit Paul nicht zum Schuster gehen dürfen, wenigstens noch einen Tag hätte ich warten müssen, dann wär der Schuster am Leben. Sein Tod war meine Schuld.
    Bis seine Frau ins Irrenhaus kam, war der Schuster Musikant, wie sein Bruder, Schwager und Schwiegersohn, die heute noch jeden Abend im Restaurant am Korso spielen. Nicht Musiker, hatte er zu mir gesagt, Musiker spielen nach Noten, Musikanten nach der Seele.
    Ich tanze nicht gerne und wollte nie mehr einen Mann, der gern tanzt. Als ich Paul kennenlernte, hab ich das Gespräch gleich aufs Tanzen gebracht. Ist das so wichtig, ich tanze nicht gerne, Frauen tanzen lieber. Ich kenne nur Männer, die zum Tanzen gezwungen werden, sagte Paul. Ja, dann tanzen sie die halbe Nacht mit der Frau, damit sie diese nachher eine Viertelstunde ficken dürfen.
    Wieso, mein erster Mann tanzt gerne, sagte ich, er ist erpicht auf' s Tanzen. Du sagst, das ist nebensächlich, du warst noch nie verheiratet. Immer, wenn Musik spielte, verstand ich meinen Mann nicht mehr. Seine Tanzsucht und mein Tanzhaß rissen uns auseinander, mehr als ein Stückchen. Wenn Musik spielte, trennten uns Welten. Ich ging in mich, trat ab und wurde fad, und er kam aus sich heraus, übermütig wie ein aufgezogener Affe. Wenn wir stritten, hätten wir besser geschwiegen, um den Riß klein zu halten. Schwiegen wir aber, wär jede Grobheit besser gewesen, weil man sich den ausgetobten Streit eher verzeihen kann als die stumm gezählten Kränkungen. Anfang September muß es gewesen sein, wir hatten beide Urlaub genommen. Uns fehlte das Geld, um ans Schwarze Meer oder in die Karpaten zu fahren. Da wollten wir uns einen Abend gönnen und gingen am Wochenende ins Restaurant. Mein Mann wollte ins Palace am Korso, wo das Familienorchester des Schusters die beste Musik in der Stadt macht. Mir war das zu teuer. Da blieb noch das Central, wo man für zweihundert Lei essen und tanzen kann. Wie wir schauten wohl auch andere Leute aufs Geld, das Restaurant war voll. Das Fleisch hatte einen sauren Stich, der Krautsalat roch nach dem Pulver, mit dem man Erdflöhe vertilgt. Da man den Weißwein mit Wasser taufen kann, weil er durchsichtig ist und bleibt, hatten sie nur den. Den meisten Leuten schmeckte das Essen, sie tunkten ihre Teller mit Brot aus, damit ja nichts zurück in die Küche geht. Sie kauten wie die Hasen, damit sie schnell zum Tanzen kommen. Und ich knatschte herum und zog die Zeit. Mein Mann aß rascher, aber im Vergleich zu denen ziemlich gemütlich. Daß das Orchester lahm war, paßte mir, ich wollte nicht tanzen. Und meinen Mann störte es nicht, weil ihn jede Musik mitreißt. Ich sah aufs Parkett, den Tanzenden ging es wie ihm. Weil hier alle aufs Geld schauten, mußte der Abend es wert sein, sie jubelten. Männer krähten, Frauen surrten mal ein tiefes Brrr, Brrr, mal ein hohes Juhu, Juhu. Wenn ein Potpourri aus war, lachten sie mit hinaufgestülpten Augen und torkelten, als müßten schwere Vögel landen. Mein Mann hatte gegessen, sich mit der Serviette den Mund abgewischt. Durch das Weinglas schaukelte seine Nase und war gewellt. Er wippte mit den Beinen, oberhalb des Tisches blieb er steif unterm Tisch zitterte der Boden. Ich sagte:
    Vielleicht sind wir doch auf Reisen, der Boden zittert wie im Speisewagen. Ihr würdet auch aufs Türenquietschen oder Grillenzirpen tanzen. Nein, ich hätte nicht «ihr» sagen und ihn mitnennen sollen, wo er doch seit einer Weile zuschauen mußte und litt. Er schob sein Weinglas auf die Tischmitte, sah mich mit länglichen, starren Augen an, die so harte Enden wie Schlüssellöcher kriegten. Er spitzte den Mund, pfiff und klopfte mit beiden Händen den Takt auf den Tisch. Ich sagte:
    Jetzt ist es schlimmer als im Speisewagen, hast du Entzugserscheinungen. Bald brauchte er mich, um zu tanzen. Bald, das war jetzt. Wie er den Spitzmund flachzog, kurz lächelte, gleich weiterpfiff, dieser schneidig höfliche Zwang. Diese Beherrschung, nur ja kein Streit, damit ich pariere. Der Kellner räumte den Tisch ab, nur die zwei Gläser blieben stehen. Durchsichtig zitternd, als wären sie nicht wirklich auf dem leeren Tisch, saßen wir hinter ihnen auf dem Sprung – ich begierig auf Streit, er auf der Lauer zu tanzen. Er gewann, weil er sich beherrschte und alle zündenden Momente vergeudete, mir

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