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Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Titel: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Müller
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wischte die Spinnweben ab. An der rechten Sohle klebte eine zertretene Brombeere. Ihretwegen, aber auch wegen des roten Autos, kam alles auf einmal über mich: der letzte Sommer am Fluß, Pauls Nacktheit nach dem Duschen in der Fabrik, unser Tanzen im Flur, wie grob mir Paul die Schere aus der Hand riß.
    Besser es stünden einem die Dinge selber und zum Anfassen im Kopf statt der Gedanken, an denen man ohne Ende grübelt. Leute, die man haben oder loswerden will, und Gegenstände, die man behalten oder verloren hat. Es gäbe eine Ordnung: Mitten im Kopf steht Paul, und nicht mein Ankrallen und Wegrücken von ihm in gleicher Liebe. An den Schläfen laufen die Gehsteige, so lang sie wollen, und an den Wangen stehen vielleicht die Läden mit Vitrinen, nicht meine grundlosen Ziele in der Stadt. Im Hinterkopf, das läßt sich nicht vermeiden, im Hinterkopf ist Albus Laufbursche, der womöglich in dem roten Auto unten sitzt, bevor er hier läutet und mich bestellt. Mündlich, damit ich Angst haben muß, den Tag zu verwechseln, weil Paul oder ich nicht richtig gehört haben. Ja, lieber wär der Laufbursche persönlich in meinem Hinterkopf, statt seiner leisen Stimme, die sich einfrißt und noch vom letzten Mal in mir steckt, wenn er wieder vor der Tür steht. Im Nacken stehen die Flußbrücke und mein erster Mann mit dem Koffer, aber nicht die Anstiftung zu springen. Und am Kleinhirn, wo das Gleichgewicht herkommen soll, ein Tisch, auf dem sich eine Fliege ausruht, statt des Nachtessens ohne Hunger. Lauter feste Sachen, die im Kopf nur den Platz brauchen, auf dem sie stehen. Flächen und Kanten, die man sich in Halt und Last einteilen und ohne Mühe voneinander unterscheiden kann. Und in den Zwischenräumen bleibt Platz für das Glück.
    Ich wickelte die Sandalen in eine Zeitung, steckte sie dann doch in eine Plastiktüte, wollte nicht mit einem Zeitungspäckchen an dem roten Auto vorbei. Für Paul etwas tun, nachdem ich zu lange gelacht hatte, das wollte ich. Und wissen, wie die zwei Gesichter im Auto aussehen. Und wußte schon nicht mehr, ob mich die zwei Gesichter auf die Straße locken oder Pauls Sandalen.
    Manche Leute trennen nicht nur Gegenstände von Gedanken, sie trennen auch Gedanken von Gefühlen. Ich frag mich wie. Daß die Schwalben über dem Bohnenfeld, aufgefädelt in den Wolken, die gleichen Flügelspitzen wie Nelus Schnurrbart haben, ist unbegreiflich, aber nur ein Fehler. Wie bei allen Fehlern krieg ich nicht heraus, ob die Gegenstände oder die Gedanken es so haben wollen. Da es so ist, müßte der Verstand den Fehlern gewachsen sein, so viele tragen können wie die Erde Bäume. Ich faltete zwei fünfziger Lei-Scheine zu kleinen Vierecken und nahm sie in die Hand und die Plastiktüte dazu. Der Lift ging auf mein Gesicht hüpfte in den Spiegel, bevor ich mit den Füßen nachkam. Der Boden schepperte, das Fahren hatte seine Bahn.
    Ich ging ganz nahe an das rote Auto, die beiden sollten sehen, daß die Welt Fehler hat und ich herunter komme, statt sie hinauf Durch die offene Scheibe fragte ich ins Auto:
    Haben Sie Feuer.
    Danach hätte ich gerne gesagt:
    Dankeschön, ich rauche nicht, ich wollte nur wissen, ob Sie Feuer haben. Ich hatte geglaubt, daß die zwei mir gleich Feuer geben, um mich los zu sein, ich hatte mich verspekuliert. Alles kam anders. Der Mann schüttelte den Kopf, und die Frau schnauzte:
    Nein, siehst du nicht, daß wir nicht rauchen.
    Er legte die Hand aufs Steuer und lachte, als sei ihr ein großer Schlag geglückt. Auf seinem Siegelring glänzten zwei Buchstaben, ein A und ein N, und das Haar der Frau krähenschwarz in der Sonne, als sie ihm etwas ins Ohr sagte. Ihr Gesicht fettigbraun von Sonnenbädern, um den Hals hing eine gescheckte Muschelkette. Ich sagte:
    Könnte ja sein, daß Sie vorher geraucht haben, und wenn ich weg bin, wieder rauchen. Oder verwechsle ich das mit Knutschen.
    He, Madame, sagte sie, falls du heute ungefickt bist, weil dein Mann nach der Arbeit rumhurt, hol dir einen mit einem langen Rettich aus der Bar. Der treibt dir die Flausen aus.
    Ach was, sagte ich, da wart ich lieber, bis meiner kommt, der hat eine Telegrafenstange, der hebt mich in den Himmel.
    Natürlich knutschten die nicht hier, aber woanders. Sie war sofort gehässig, sie fühlte sich von mir ertappt. Er auch, sonst hätte er nicht klein und stumm wie ein Dreckhaufen dagesessen. Wahrscheinlich war er im Dienst, und sie versüßte ihm die Stunden. Bevor sie die Scheibe hochkurbelte, sagte ich

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