Heute wär ich mir lieber nicht begegnet
wurde es zu dumm. Wofür haben wir das Geld bezahlt, das morgen fehlen wird. Soll doch wenigstens er das schlechte Essen wettmachen im Tanzen. Ich zog ihn an der Hand aufs Parkett. Wir tanzten uns einen Weg durch die Paare, bis vornehin zum Orchester. Er drehte mich, die Tasten des Akkordeons verschwommen wie eine Jalousie.
Du machst dich schwer, mein Arm schläft ein, sagte er.
Ich kann mich nicht leichter machen als ich bin.
Beim Tanzen werden auch die dicksten Frauen leicht, du tanzt ja nicht, du läßt dich hängen.
Er zeigte mir die dickste Frau im Restaurant, eine Matrone, die mir schon beim Essen aufgefallen war. Von ihrem weißen Kleid mit schwarzen Schachfiguren hatte ich am Tisch nicht viel gesehen, nur, daß sie den Teller bis zur Tischmitte wegschieben mußte, um über ihre Brüste hineinzusehen. Da reichten Messer und Gabel am Ende ihrer kurzen, fetten Arme kaum ans Essen.
An der flattert das Kleid, weil es tiefe, gegeneinander gesetzte Hohlfalten hat, nicht weil sie leicht ist. Von Kleidern versteh ich etwas, sagte ich.
Aber nicht von Frauen, sagte er.
Die Schachfiguren flogen aus den weißen Falten. Schnee und Distelhaar, das weiße Pferd meines Schwiegervaters, die Hochzeitstorte, deren Schneeglasur mir beim Essen an der Nasenspitze kratzte. Mein Kopf war schwer. Auch wenn ich tanzen mußte, hatte ich kein Recht, meinem Mann vorzuwerfen, daß der Parfümkommunist sein Vater war. Ich riß mich zusammen, tat aber schon, was ich mir ausreden wollte. Anderen kann man vieles verbieten, am besten den Allernächsten, aber sich selber nicht. Während mich beim Tanzen vor den schwimmenden Akkordeontasten das Hirn mit Vergangenem plagte, kostete mein Mann die Nähe der Matrone. Er tupfte dem Mann, der die Schachfiguren führte und gerade krähte, auf den Arm: Ihre Partnerin tanzt gut.
Na sicher, und ich führe gut, sagte er.
Dann krähte der Matronentänzer wieder, die Matrone surrte, und mein Mann krähte mit.
Wenn du noch ein Mal krähst, sagte ich, hol ich die Füße auf den Buckel und lauf, soweit ich kann.
Und er krähte noch einmal, und ich ließ die Füße auf dem Boden, und die Matrone surrte Brrr, und ich blieb.
Immerzu wechselten die Paare. Das Umpaaren ging ohne ein Wort. Entweder gehorchte man intimen Gesetzen zwischen Mann und Frau oder dem schnellen Zufall. Absprachen sah man hier keine. Ich kam aus dem Takt.
Du bist nur eine Handvoll und kriegst beim Tanzen schwere Knochen, sagte mein Mann.
Schnapp dir doch die Zisterne, sagte ich, da hast du was zu greifen.
Die Alte mit dem zittrigen Kopf stupst mich mit dem Finger: Sag mal, hast du keine Aspirin. Nein. Aber der Schaffner, der hat doch Wasser, oder hab ich schlecht gesehen, er hat doch eine Flasche. Er hat eine Flasche, sage ich. Ihre Augen waren einmal größer gewesen. Wie oft bei alten Leuten, wachsen sie von den Schläfen her zu mit ganz dünner Haut wie rohes Eiweiß. Ihre Ohrgehänge wackeln mit dem Kopf, zwei ovale grüne Steine. Vom vielen Zittern sind die Löcher in den Ohrläppchen viel zu lang nach unten geschlitzt, fast ausgerissen. Zahnpasta und eine Zahnbürste, das könnte ich ihr geben. Vielleicht hat der Schaffner Aspirin, sage ich. Der mit der Mappe greift in die Tasche: Ich glaub, ich hab noch eine. Ein verhutzelter Zellophanstreifen knistert, er streift ihn glatt: Der ist leer, jetzt weiß ich es wieder, ich hab heute morgen die letzte genommen. Am Markt ist eine Apotheke, sagt der junge Mann neben der Tür. Die Alte dreht den Kopf, ich bräuchte die Tablette jetzt, wann kommt der Markt. Sie geht von einer Sitzlehne zur anderen, hält sich mit beiden Händen, bis sie in der Mitte des Wagens ist. Der Schaffner sieht sie in seinem Spiegel, setz dich Oma, sonst gibts noch ein Malheur. Du hättest andersherum fahren müssen, dann wär es näher. Die Alte torkelt bis zu ihm. Mensch, ich hab dich doch gefragt, du hast gesagt, ich bin hier richtig. Hast du wenigstens Aspirin.
Liebt man sich nicht, dann ist Tanzen lästiger als Gedränge in der Straßenbahn, hatte ich zu meinem Schwiegervater gesagt. Und wenn man sich liebt, hat man wasBesseres zu tun, man kann die Beine auch anders wegstrecken und sich den Kopf schwindlig machen.
Was heißt, Besseres zu tun, sagte er, Tanzen ist doch keine Arbeit, sondern ein Vergnügen, wenn nicht sogar eine angeborene Begabung, eine Veranlagung. Und ein Stück Kultur. In den Karpaten gibt es andere Tänze als im Hügelland, und am Meer andere als an der Donau, und in
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