Heute wär ich mir lieber nicht begegnet
fragen können, warum, dann hätte ich ihm was erzählt. Aber er sagte:
Na bitte, da martert man sich das Hirn, wie man den Kindern helfen kann, dann soetwas.
Er wollte seinen Sohn ablösen. Damals, als ich mich meinem Tata anbot, um die Langzöpfige abzulösen, war es dringend nötig, und es wäre auch möglich gewesen. Diesmal nicht. Mein Mann und meine Schwiegermutter erfuhren es nie, auch nicht, was ich über das weiße Pferd, den Parfümkommunisten und seine Namensänderung wußte. Er hatte auch sich selber schon einmal abgelöst, darin war er geübt. Der Schrank hätte mich erschlagen, wenn ich es vergessen hätte. Ich machte keinen Wirbel, hielt auch damals das Maul, damit die ganze Paraputch ihrem Unglück nicht begegnet.
Morgens um drei zerknitterte die Silvesternacht unsere Gesichter, als hätten wir im Zimmer hier ein ganzes Jahr verlebt. Die Lust, sich an dem zugeheirateten Fleisch in der Verwandtschaft zu vergreifen, schlug ins Gähnen um. Die Ehepaare, die sich im gegenseitigen Vertrauen über Nacht aus den Augen gelassen hatten, fanden wieder zusammen. Meine Schwiegermutter stritt mit ihrem Mann, weil die Kristallkaraffe zerbrochen war. Die älteste Tochter mit ihrem Betrunkenen, weil er sich mit der Zigarette zwei Löcher in die Hose gebrannt hatte. Mein Mann warf mir vor, daß ich zuerst mit Martin aufs Neue Jahr angestoßen habe, erst danach mit ihm, und daß mir das gar nicht aufgefallen ist. Die vertrocknete Ehefrau jammerte, daß ihr Mann einen seiner goldenen Manschettenknöpfe verloren hatte. Er zeigte uns allen den noch vorhandenen am rechten Ärmel, wir suchten im Bad, Zimmer und Flur und fanden alte Hosenknöpfe, Münzen, Haarspangen, Parfümverschlüsse und legten sie nebeneinander aufs Tischtuch. Der jüngste Bruder stritt mit seiner dicken Frau, weil sie den Autoschlüssel verlegt hatte. Sie stülpte ihre Handtasche auf den Tisch. Es fielen ein Taschentuch heraus, zwei Aspirin und ein winzigkleiner Antonius aus rostigem Eisen. Er wird uns helfen, sagte sie und küßte ihn.
Friß ihn, sagte ihr Mann, dann kannst du vielleicht Wunder vollbringen und die Autotür mit dem Finger öffnen.
Martin legte das Kinn auf den Tisch und sah sich die Waden der Frauen noch einmal der Reihe nach an. Er wurde nicht beachtet, gehörte um diese Uhrzeit nicht mehr zur Familie. Das Licht stach, auf seiner Kopfhaut glänzte einen halben Zentimeter nachgewachsen silbrig Faden um Faden. Sein Haar war braun gefärbt.
Niemand hatte den Manschettenknopf gefunden, alle hörten auf zu suchen und zogen im Flur Mäntel und Schuhe an. Anastasija kam mit einer verrosteten Pinzette aus dem Bad. Ihre Hände tropften, um die Stirn waren die Haare naß, und an ihrem Kinn hing ein Wassertropfen.
Wieso trinkst du aus der Hand, fragte meine Schwiegermutter, da stehen doch Gläser genug.
Anastasija fing an zu weinen:
Ich muß euch das jetzt mal sagen, der Witwer hat mich heute nacht im Bad gequält, das ist doch das Letzte, das ist doch nicht möglich.
Die Pinzette lag neben den anderen Fundstücken auf dem Tisch, sah dem kleinen Antonius zum Verwechseln ähnlich, aber niemand küßte sie. Anastasija schlüpfte in den Mantel und riß die Tür auf.
Warte doch, sagte mein Schwiegervater, gleich gehen die anderen auch.
Ich brauch keine Begleitung, sagte sie.
Der Bruder mit dem verlorenen Manschettenknopf zeigte auf ihre Füße: Du wirst doch nicht auf den Strümpfen gehen.
Anastasija fand den Autoschlüssel in ihrem Schuh.
Der Antonius hat doch noch Glück gebracht, sagte mein Schwiegervater zu seiner vertrockneten Schwägerin.
Trotzdem glaubt es keiner, sagte sie.
Und dann drückte sie Anastasija an sich:
Martin hat sein Glück versucht, nimm es dir nicht zu Herzen, es hätte ja sein können.
Da war Martin schon weg, niemand wußte wie und wann. Seinen Schal hatte er vergessen, der hing im Flur.
Nachdem alle gegangen waren, drehte mein Schwiegervater das Bild auf die richtige Seite. Meine Schwiegermutter zog die Socke vom Kronleuchter, öffnete die Fenster und Türen zwischen Straße und Hof. Schneekalte Nacht blies herein. In der Zugluft schaukelte der Kronleuchter, flatterte die Krawatte meines Schwiegervaters und das Haar seines Sohns. Da machte das weiße Pferd von der Wand einen Schritt auf mich zu, kam sich am ersten Januar diese vom Feiern abgenutzten Leute holen. Ich wich zurück in den Flur. Mein Schwiegervater gähnte und zog die Krawatte über den Kopf. Seine Frau sammelte Brot- und Kuchenkrümel und
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