Heute wär ich mir lieber nicht begegnet
Kirschkerne vom Teppich in die Hand.
Bevor wir schlafen gehen, muß das Geschirr in die Küche, sagte sie.
Ich dachte nicht daran, zu helfen. Ihr Mann legte seine Krawatte auf den Tisch, nestelte an ihrer Schlinge, bis sie in einem akkuraten Kreis, wie in der Vitrine eines Ladens dalag.
Ich sagte ein schnelles Gute Nacht.
Was man heute träumt, wird wahr, sagte er.
Alle Gespräche der Paraputch fingen im neuen Jahr mit dem verlorenen Manschettenknopf an. Hier im Haus ist er nicht, höchstens ins Klo gefallen, das kommt ja vor. Ich wußte anderes und hatte meinem Mann gesagt, daß der goldene Manschettenknopf auf dem Nachtkästchen, in der Schmuckschachtel seiner Eltern liegt.
Wieso schnüffelst du, fragte er.
Weil ein Manschettenknopf nicht laufen kann, sagte ich. Als ich wieder in die Schmuckschachtel sah, war er verschwunden. Zu Ostern prahlte mein Schwiegervater mit einer goldenen Krawattennadel:
Von meiner lieben Frau.
So lieb war sie ihm nicht, das wußte sie. Er hielt sich in der Gärtnerei eine Geliebte in meinem Alter, die sich mit der Bekämpfung der Milben und Blattläuse beschäftigte. Weil ihre volle Anrede, Genossin Ingenieurin für die Parasitenbekämpfung der Kulturpflanzen, niemand aussprechen konnte ohne zu lachen, wurde sie mit Genossin Lausinspektorin angeredet. Meine Schwiegermutter war jeden Sonntag froh, daß ihr Mann nicht in die Gärtnerei konnte. Aber an Ostern war ihr Gesicht mürb wie Blätterteig, sie konnte sich nicht sattsehen an ihm, der mit seiner Krawattennadel so beschäftigt war, daß er an dem Sonntag das Telefon nicht heimlich mit ins Bad nahm, um die Geliebte anzurufen. Meine Schwiegermütter holte Luft und sagte:
Ich habe meinen alten Ring zum Goldschmied gebracht, er war mir zu klein geworden.
Mir ging der Hals zu. Mein Mann sah mich mit länglichen, starren Augen an, wie immer, wenn er mich zum Schweigen zwang. Da sagte ich ihm ins Ohr:
Deine Mutter lügt die Wahrheit, der Manschettenknopf hat für die Krawattennadel deines Vaters wirklich nicht gereicht, ihr Ring fehlt auch.
Eine dicke Fliege surrt in steilen Kreisen um den Kopf des Schaffners. Sie setzt sich auf seinen Arm, er schlägt nach ihr. Sie setzt sich auf seinen Hals, er schlägt nach ihr. Dann schlägt er sich in den Nacken, daß es klatscht. Sie entwischt und setzt sich auf den Fensterrahmen. Er will sie durch die offene Scheibe auf die Straße scheuchen. Sie schwirrt weg. Man hört sie nicht summen, die Schienen sind lauter. Was ist, fragt die Alte, du bist ja ganz desperat. Eine Fliege, sagt der Schaffner. Ach so, ohne Brille seh ich so kleine Sachen nicht. Gleich kommt sie zu dir, sagt er. Warum hast du sie nicht erschlagen, fragt sie. Er kriegt sie nicht, sagt der Mann mit der Mappe, er muß doch fahren, nicht Fliegen jagen. Das wär ja was, wegen einer Fliege zu entgleisen. An mich kommt sie nicht, lacht die Alte, ich zittere doch so. Das ist doch gut, sagt der Schaffner, damit bist du die Fliegen los. Nein, sagt sie, gut ist das nicht. Du wirst schon sehen, wenn du alt bist. Die Stechmücken kommen trotzdem, na ja und die Flöhe. Ich hab Blutgruppe A, das beste Blut für Flöhe, hat der Arzt mir gesagt. Ich hab Blutgruppe AB, sagt der mit der Mappe. Und das Fräulein, fragt die Alte und schließt den Mund schief und wartet. Null, sage ich. Null, das ist Zigeunerblut, sagt die Alte. Die Nullen können für alle Blut spenden, aber Blut bekommen können sie nur von den Nullen. Der Schaffner schlägt sich an die Schläfe. Du Leichenhure, schreit er, such dir einen andern, ich bin noch nicht krepiert, und ein Haufen Scheiße bin ich auch nicht. Er scheucht die Fliege zu uns. Auch wir sind nicht krepiert. Ich bin die jüngste hier, ich wär als letzte dran, wenns ums Krepieren geht. Ich habe auch Null, sagt der Schaffner. Die Fliege schwirrt wie Augenflimmern auf der Scheibe. Ihr Bauch glänzt so grün und so groß wie die zittrigen Steine an den Ohren der Alten.
Ich ging gerne in die Werkstatt zu dem alten Schuster, weil er gesprächig war.
Die Musik ist mein Leben, sagte er, aber hier braucht man sie auch, damit man die Ratten nicht hört. Auch zu Hause höre ich Musik, bis ich einschlafe. Früher sang meine Vera mit, den ganzen Tag. Abends war sie oft so heiser, daß sie einen heißen Tee mit Honig trinken mußte.
Seine Frau pflanzte den Drahtzaun entlang, wo vormittags die Sonne hinfiel, jeden Sommer Dahlien.
Meine Vera hatte eine gesegnete Hand, sagte er, alles, was sie in die
Weitere Kostenlose Bücher