Heute wär ich mir lieber nicht begegnet
fährt ganz langsam, der Laster kommt dicht heran, mitten im Kreisverkehr so dicht, als wolle er unter der Java hindurch. Dann fliegt das Motorrad hinauf, dann fliegt Paul ohne Motorrad und fällt wie totes Holz vom Baum. Als er sich traut, die Augen zu öffnen, sieht er Gras und hört Stimmen. Um ihn herum stehen Schuhe, Hosen, Röcke und ganz oben Gesichter. Dann fragt Paul:
Wo ist das Motorrad. Es liegt am Randstein.
Wo ist der Laster. Niemand hat ihn gesehen.
Wo sind meine Schuhe.
An deinen Füßen, sagt ein alter Mann in kurzen Hosen.
Die an der Lenkstange in der Tüte, wo sind die. Herrgottnochmal, sagt der Alte, wie durch ein Wunder hast du noch Zähne im Maul, jetzt brauchst du Schuhe.
Du hast einen Schutzengel, reicht dir das nicht.
Mein Schutzengel fährt im grauen Laster, sagt Paul, wo ist er hin.
Laster, das Rasen mußt du dir abgewöhnen.
Die Beine in den kurzen Hosen sind wie Marmor, durch und durch geädert, kein einziges Haar drauf. Als die Runde gesehen hat, daß Paul noch alle Zähne hat und sogar im Hirn beisammen ist, geht sie ihrer Wege. Der Alte hilft ihm auf die Beine, dann das Motorrad aufstellen. Dann gibt er ihm sein Taschentuch:
Wisch dir wenigstens am Kinn das Blut ab.
Haben Sie den grauen Laster gesehen, fragt Paul. Viele hab ich gesehen.
Haben Sie sein Nummernschild gesehen.
Das Schicksal hat keine Nummer.
Aber der Laster.
Bleiben wir lieber beim Schicksal, sonst beleidigt sich dein Schutzengel, sagt der Alte.
Währenddessen wischt Paul sich mit dem frischgebügelten Taschentuch Blut vom Kinn.
Jetzt lag Paul im dunklen Zimmer auf dem Bett und fragte mich, nachdem der Unfall erzählt war:
Gibt man ein Taschentuch dreckig zurück, oder behält man es.
Ich hob nur eine Schulter. Je mehr Paul von dem Alten erzählte, umso weniger war er zufällig dort. Nach der Ausflucht um das richtige Benehmen mit einem Taschentuch kam eine andere.
Daß man mir wieder zwei Paar Schuhe gestohlen hat, ärgert mich noch mehr als der Unfall.
Ich schaute aus dem Fenster, die Straße tief unten, still, leer, und der Mond, der hat sich heute für das Ziegengesicht entschieden. Wenn er keinen Fehler gemacht hat, ist es tauglich für diese Nacht. Halb zum Fenster hinaus sagte ich:
Als ich das letzte Mal bestellt war, hat Albu beim Handkuß geschmunzelt: Ihr fahrt doch oft an den Fluß, du und dein Mann, es gibt auch Verkehrsunfälle.
Das Ziegengesicht stand, und der Himmel fuhr, und das Zimmer schwankte, als ich nicht mehr hinaus sah. Vielleicht wissen die Leute doch, wovon sie reden, wenn sie mich fragen, ob ich nicht fürchte, daß der Wohnblock umstürzt.
Paul hatte Licht gemacht:
Und wieso sagst du mir das erst jetzt.
Was kann man flackernden Augen erklären.
Weil ich es nicht glaubte. Albu hat sich zur Abwechslung einen Unfall ausgedacht, entzündete Augen, geschrumpftes Zahnfleisch, kalte Hände waren schon abgenutzt, das glaubte ich.
Draußen schwarze Nacht und drinnen hell, vor lauter Reden im Dunkeln hatten wir die Wunden an Pauls Stirn, Kinn, Handknöcheln, Knien und Ellbogen nicht angerührt. Das Blut war in den Dreck hineingetrocknet. Ich holte Watte und Spiritus aus dem Bad. Ich wollte Paul umarmen und traute mich nicht, die Schürfungen hätten uns außen gestört und innen nichts gegeben. Er fuhr sich durchs Haar und verzog das Gesicht, als würde auch das schon weh tun.
Laß mich, sagte er.
Paul tupfte schnell und fest auf die Wunden, an den Knien, an den Ellbogen und Fingerknöcheln. Wenn vom Brennen die Tränen kamen, wischte er sich, kurz bevor er nichts mehr sah, mit dem Innenarm über die Augen. Die Stirn und das Kinn durfte ich abtupfen, weil er nicht vor den Spiegel wollte. Ich tupfte anders als er, ich zögerte, er lachte gequält, bis ich sagen mußte:
Wem willst du was zeigen. Wenn es weh tut, schreit man.
Und er schrie, aber nicht Au, sondern:
Schau mich gut an, dann siehst du, was du mir verschwiegen hast.
Er packte mich am Hals und drückte wie eine Zange. Und ich tat, was er befahl, ich sprang ihn mit den Augen an. Die von mir gesäuberte Wunde am Kinn glänzte roh, ich spürte sie in meinen Augen wie einen Bissen ausgespuckter Melone. Dann aber sah ich den Koffer meines ersten Mannes auf der Brücke stehen. Jetzt hätte ich sagen sollen, sagen müssen, sagen können müssen:
Mich soll keiner mehr so anfassen im Haß der Liebe, hast du verstanden, nie mehr im Leben. Stattdessen zerrte ich seine Hände weg von meinem Hals. Was mit diesem Griff beginnt,
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