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Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Titel: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Müller
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ich beim Fahren nie mehr so dumm werden kann wie das Glück, daß nie mehr der Himmel fliegt, ich mich nie mehr an Pauls Rippen festhalten kann, das ist meine Sache. Daß wir mit diesem Geld nicht zusammen ins Restaurant am Jagdwald gingen, wie nach dem Flohmarkt, wo wir uns kennenlernten. Paul hatte den Unfall ohne mich, sein Motorrad war hin, und er vermied vielleicht, daß wir uns nach Leichenschmaus verhielten. Paul ging es ums Wegwischen wie bei den Brotkrümeln vom Küchentisch. So wie es auch mir nach der Trennung von meinem ersten Mann ums Wegwischen gegangen war.
    Ich stand damals auf dem Flohmarkt, um mir Gegenstände, die mich zurückwarfen, vom Hals zu schaffen. Bei meinem Ehering ging es ums Geld, ich hatte Schulden. Paul stand neben mir und verkaufte selbstgebaute Antennen für die Budapester und Belgrader Fernsehprogramme. Die Antennen waren nicht erlaubt, aber geduldet und auf vielen Dächern der Stadt. Hier auf dem Flohmarkt, auf Pauls blauem Wachstuch, an dem der Wind riß, ähnelten sie Geweihen. Ich zog meine Schuhe aus und beschwerte damit die Zeitung, auf der mein Krempel lag. Ich hatte schmutzige Füße und wurde immer noch so schnell unglücklich wie früher mit den Staubschlangen des eingeschläferten Jungen zwischen der Allee und der Brotfabrik. Jeder, der hier vorbeischlurfte, hätte, was er auf der Haut trug, um nichts verkaufen können, und sich mit geschlossenen Augen einen Fetzen vom Boden nehmen und anziehen können. Nur bei den Militärs und Polizisten wär es aufgefallen, weil keine Uniformen auf dem Boden lagen. Kein Grashalm, kein Baum, ein Menschenhaufen und Armensommer im fliegenden Staub. Und ich verkaufte hier Gold.
    Für meinen Wollschal hätt ich das Dreifache kassieren können, mit Plastikarmreifen und Broschen, einem Strandhut und Wasserball war nur Kleingeld zu machen. In meinem kurzen, engen Rock, mit dem Ehering an der Schnur, die mir vom Handgelenk auf den Boden hing, kam ich mir wie eine gute Mischung zweier Durchtriebenheiten vor. Halb Schwarzhändlerin, abgewirtschaftet, die sich entschließt, ihr Fleisch zu zeigen, die ihre Ware durch Begehrlichkeit veredelt. Und halb eine dieser kleinen, rosiggepuderten Huren, die beim Geschlechtsverkehr gelegentlich das Gold des Freiers mitgehen lassen. Verdorbenheit hätte hier beeindruckt, schnell und klar wie Eins zu Eins wär man damit zu einem Packen Geld gekommen. In der Einbildung gefiel ich mir verdorben und begehrlich. Ich winkelte das rechte Bein ein bißchen an, stellte die Ferse auf den linken Fuß, lockerte mit gespreizten Fingern das Haar über der Stirn, schaute fordernd und weich aus dem, was ich hatte. Nur war ich mir sicher: Mein kurzer Rock verdirbt sich das Niveau durch meine krummen Beine, der Schimmer von Milchglas fehlt meinem Hals, und meinem Augenaufschlag die Bitternis, die Männer auf den Grund zieht. Das Frivolste an mir war der staubige Wind. In Wahrheit wußte ich nicht einmal, wieviel Gramm der Ring wiegt, und was ein Gramm Gold kostet. Ich gehörte dem Ring, nicht er mir. Habt Mitleid mit dieser Gans, das hätte ich besser gebracht. Aber hier war es falsch am Platz.
    Ein alter Mann wog den Ring in der Hand, prüfte den Innenstempel mit einer Lupe.
    Es ist Gold, was denn sonst, sagte ich.
    Was willst du dafür, zweitausend, na.
    Ich weiß nicht, ob ich ihn verkaufe.
    Zweitausendeinhundert, komm wir machen das Geschäft.
    Sie haben leicht reden.
    Na gut, ich dreh noch eine Runde.
    Wielange denn.
    Na, so Viertelstunde.
    Dann ist der Ring weg.
    Dann her damit.
    So schnell geht das nicht.
    Wieviel soll ich bieten.
    Haben Sie das Geld bei sich.
    Herrgottsakrament und alle Heiligen, soll ich es mir auf die Stirn kleben.
    Der letzte Preis.
    Zweitausendzweihundert, na. Willst du was verkaufen oder zum Opa auf den Schoß.
    Ich werd noch überlegen.
    Was sucht so eine junge Katze auf der Jagd, schrie er.
    Während ich an ihm vorbei sah, steckte er seine Lupe ein und zögerte wegzugehen. Er hätte lieber ein Geschäft gedreht als eine leere Runde. Da steht im frischgebügelten, blaugestreiften Hemd, in diesem Staub vor mir kein unbekannter Opa zum sich auf den Schoß Setzen. Sein Bauch, seine Hände und Schläfen waren geliehen von Lillis Offizier. Die kugelrunde Sonne steckte an diesem Tag in Watte.
    Paul hatte viel Kundschaft, zeigte seine Antennen und verteilte Handzettel mit den Himmelsrichtungen nach Budapest und Belgrad. Ich saß in der Kniebeuge, und mein Rock rutschte ganz hinauf, sinnlos zupfte ich

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