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Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Titel: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Müller
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von Bäumen, Wolken oder Dächern wissen. Ich war drauf und dran, dem leeren Auto diesen Platz zu gönnen. Hier oben knackten Pauls Zehen auf dem Fußboden, auf dem Gehweg dort unten trat eine Frau in ihren Schatten hinein. Die Sommerwolken standen hell und hoch, besser gesagt weich und nah, Paul und ich hier oben im falschen Regal, zu müde, zu weit vom Boden. In unserem Fall hat niemand den Wunsch, die Niederlagen aufzuhalten. Ich glaube nicht einmal Paul. Das Mißlingen des Glücks läuft fehlerfrei und hat uns gebeugt. Glück ist eine Zumutung geworden, und mein verkehrtes ein Hinterhalt. Wenn wir einer den anderen schonen wollen, schlägt es fehl. So wie jetzt, als Paul zu mir ans Fenster kam, und ich mit der Fingerspitze über sein Kinn fuhr, damit er nicht den Kopf hinausstreckt. Er spürte in der Zärtlichkeit das Hindernis und lehnte sich hinaus: Nun sah er das rote Auto. Zärtlichkeit hat eigene Maschen, wenn ich die Fäden wie die Spinne netzen will, bleib ich selber drin kleben, mein Netz macht Klumpen. Ich überließ Paul das Fenster, das leere rote Auto war auch ihm nur einer dieser Flüche aus Gewohnheit wert. Dann aber ging er ohne Wort in den Hauspantoffeln nach unten und brachte die Java im Lift herauf. Wir schleppten das Motorrad in die Wohnung. Und zwei Tage später, am Sonntag, schob Paul es durch die Maulbeerstraße zum Flohmarkt.
    Ich hatte beschlossen, zu Hause zu bleiben. Ich wollte nie in die Maulbeerstraße, ohne an Lillis Grab zu gehen und das des Schusters zu suchen. Und das hätte dauern können. Ich ging ungern an Lillis Grab. Lilli und mich hätte ich ertragen, aber nicht ihre roten Grabblumen. Mein Schwiegervater hatte sie Tradescantia genannt. Auf dem Markt hießen sie Wienerinnen, und für mich waren es Fleischblumen. Rote Stiele, Blätter, Blüten, jede Pflanze bis in die Spitzen eine Handvoll Fleischfetzen. Lilli fütterte sie, und ich stellte mich ans Fußende und stopfte die Finger in den Mund, damit die Zähne nicht klappern. Nach Pauls Unfall zog es mich an kein Grab der Welt. Außerdem wollte ich die Java behalten, auch wenn man nicht mehr damit fahren kann.
    Unsere Liebe hatte sich einmal um sich selbst gedreht, wir hatten uns auf dem Flohmarkt kennengelernt, und das Motorrad war dabei. Nun ging Paul zum ersten Mal seither auf den Flohmarkt, um die Java loszuwerden. Paul sagte:
    Wenn wir das Motorrad behalten, sind wir eingesperrt in die Gemeinheit. Ob eingesperrt oder nicht, ich wollte es in der Wohnung lassen, weil der Unfall die Gemeinheit war, nicht das Motorrad. Aber daß Paul und das Motorrad auf dem Flohmarkt, beide gleich zugerichtet, im fliegenden Staub stehen und warten, war doch auch eine Gemeinheit. Ich sagte:
    Geh nicht dorthin mit dem Grind im Gesicht.
    Paul nahm es leicht:
    Mal sehen, vielleicht kommt dein Wasserball zurück.
    Aber wer zurück kam, war der Alte mit den Marmorbeinen. Tipptopp im Sonntagsanzug, mit luftigem Strohhut und Seidenkrawatte. Und Paul verkaufte ihm die Java und meinte, der Alte sei nicht vom Geheimdienst, sonst hätte er nicht mehr als alle anderen bezahlt. Ich weiß es nicht. Paul kam spät abends besoffen vom Flohmarkt nach Hause. Er nahm sich Wurst aus dem Kühlschrank und Brot aus der Schublade. Bei jedem Stück, das er beim Essen anfaßte, fragte er:
    Was ist das.
    Das ist Wurst, sagte ich.
    Und das.
    Tomate.
    Und was soll das sein.
    Brot.
    Und was ist das.
    Salz und Messer, das andere eine Gabel.
    Kauend sah Paul zu mir, als müsse er mich suchen. Wurst, Tomate, Salz und Brot, sagte er, aber du bist auch da.
    Und wo warst du, fragte ich.
    Er zeigte mit dem Messergriff auf seine Brust:
    In meinem Hemd und bei dir.
    Er steckte sich ein Stück Brotrinde in die Hemdtasche:
    Wenn ich bald verhaftet werde..., wenn du bald... Zerkautes Essen zog die Worte mit hinunter in den Hals. Als er gegessen hatte, räumte er das Besteck in die Spüle und das Brot in die Schublade, wischte die Krümel vom Tisch:
    Wenn heute noch fremder Besuch ansteht, soll es bei uns im Haus sauber sein.
    Ein paar Minuten später kam er ins Zimmer und setzte sich auf den Bettrand zu mir:
    Wird denn heute nichts gegessen in diesem Haus hier.
    Du hast doch gegessen.
    Wann.
    Vor fünf Minuten.
    Was habe ich gegessen.
    Ich zählte wieder alles auf.
    Er nickte.
    Also ist der Mensch satt.
    Dann nickte ich.
    Gut, daß er nicht DEIN MENSCH gesagt hat. Eigentlich ist es seine Sache, daß er das Geld für die Java versoffen hat. Ich wollte gar nicht wissen, wieviel. Daß

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