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Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Titel: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Müller
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endet kopfüber am Geländer. Hoffentlich werd ich es nicht zurücktun müssen. Hoffentlich werd ich mich eines Tages vor Paul nicht so verachten müssen, wie sich mein erster Mann vor mir verachtet hat.
    Ab morgen fahren wir Bus und Straßenbahn, sagte Paul, die Jongleure werden es ein bißchen schwerer haben.
    Er tapste in die Küche. Die Kühlschranktür ging auf, ging zu, es gluckste, Paul trank aus der Flasche, hoffentlich nicht Schnaps, aber bestimmt nicht Wasser. Ein Glas klingelte im Regal, wurde auf den Tisch gestellt. Ich hörte es vollaufen, es war nicht groß. Er schlürfte, und ich wartete. Das Glas wurde nicht mehr hingestellt, und kein Stuhl, um sich zu setzen, weggeschoben. Mit dem Glas in einer der abgeschürften Hände stand Paul jetzt drüben in der Küche. Und wenn der Mond dorthin gewandert war, sah ein Ziegengesicht ihn machtlos an, und sein Gesicht von Wunden entstellt zurück.
    Auf dem Türrahmen neben mir saß eine Stechmücke, tatenlos im Licht gefangen wie eine Brosche. Sie nahm sich nicht in acht, ich hätte sie erschlagen können. Wenn wir das Licht auslöschen, wird sie singen und sattwerden. Sie hat Glück, heute nacht muß sie nicht stechen, nur Blut abtupfen mit dem Rüssel. Leider hat sie eine feine Nase, sie wird mich bevorzugen, sicherlich riecht Pauls Blut ihr zu sehr nach Schnaps.
    Mir ist der Alte mit dem Taschentuch nicht geheuer, rief Paul aus der Küche, der wird sich totlachen. Froh, daß ich lebe, hab ich nichts begriffen, fast nichts.
    Der Schnaps oder das Ziegengesicht hatten Paul den Schrecken genommen, die Stechmücke den meinen nicht. Ich fragte:
    Sieht man den Mond durchs Küchenfenster.
    Am nächsten Morgen fingerte die Sonne ins Bett, an meinem Arm juckten zwei Mückenstiche, einer auf der Stirn und einer auf der Wange. Am Abend davor wurde Paul vom Schnaps in den Schlaf gesenkt, und ich vor Müdigkeit hineingerissen, schneller als die Mücke zu mir kam. Ich hatte mir abgewöhnt, vor dem Schlafen zu fragen, wie man den Kopf halten soll, damit er die Tage erträgt, weil ich es nicht wußte. Daß man das Schlafen verlernen kann, wenn man sich diese Frage stellt, war mir bekannt. Die erste Woche nach den Zetteln, als ich drei Tage hintereinander bestellt wurde, ging mir nachts kein Auge zu. Die Nerven, die wurden Glitzerdraht. Keine Schwere mehr, die das Fleisch zu wiegen hätte, nur gestreckte Haut, und Luft in den Knochen. Ich mußte in der Stadt auf der Hut sein, mir nicht zu entwischen wie im Winter der Atem, oder mich beim Gähnen nicht selber zu schlucken. Ich konnte den Mund nicht so weit öffnen, wie ich innen fror. Ich fing an, mich von etwas Leichterem als mir getragen zu fühlen und Gefallen daran zu finden, je mehr ich innerlich taub war. Andererseits hatte ich Angst, daß die Gespensterei noch schöner wird, und daß ich keinen Finger rühren werde gegen sie und für die Umkehr. Am dritten Tag trieb mich der Heimweg von Albu in den Park. Ich legte mich mit dem Gesicht nach unten ins Gras und spürte keines. Ich wär so gleichgültig gern tot darunter gewesen und lebte so verteufelt gern. Ich wollte mich ausweinen und kriegte meinen Lachanfall statt Tränen. Gut, daß die Erde dumpf klingt, ich lachte mich müde. Als ich aufstand, war ich eitel, wie schon lang nicht mehr. Ich zupfte an meinem Kleid herum, brachte die Frisur in Ordnung, schaute, ob Grashalme in den Schuhen stecken, ob die Hände grün und die Fingernägel dreckig geworden sind. Erst dann ging ich aus dem Park hinaus, aus einem grünen Zimmer auf den Gehsteig. Gleich nachher knisterte es in meinem linken Ohr, ein Käfer war mir hineingekrochen. Der Lärm war klar und laut, im ganzen Kopf klapperten Stelzen durch einen leeren Saal.
    Ja, die Stechmücke hatte mich bevorzugt, ich mich ergeben. Wir mußten einander nicht stören. Mein Gesicht hätte ich ihr verbieten sollen. Bei Tageslicht saß der Grind an Pauls Stirn und Kinn wie ein dreckiges Sieb, von dem niemand wußte, was bleibt drin hängen, und was fällt durch.
    Heut nacht haben die Wunden gebrannt, sagte Paul, mein Mund war trocken, ich mußte ständig ans Fenster, sonst wäre ich erstickt.
    Er rieb sich die Augen. Auf der Ladenstraße stockte Autolärm, bald klingelten Flaschen. Ich ging ans Fenster: An den Hintertüren war ein Lieferwagen angekommen, und auf dem Gehsteig das rote Auto, auf dem gleichen Platz wie gestern, nur saß niemand drin. Ganz leer in der Sonne, war die Frage, was es hier tut, so abwegig, als wolle man dasselbe

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