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Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Titel: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Müller
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fleckiges Gerippe mit eingezogenem Schwanz, die Pfoten verklebt mit halbtrockenem Schlamm. Wo er den gefunden hat, bei dieser Hitze. Dem hängt Schaum aus der Schnauze, das Klingeln zahlt sich nicht mehr aus, tot wäre er gut aufgehoben, könnte die Pfoten endlich von sich strecken. Von denen gibts immer mehr, sagt der junge Mann an der Tür. Der mit der Mappe nickt: Und wer gebissen wird, hat gerade noch Zeit zu beichten, wie ein Kind in der Straße bei mir. Dem kam Schaum aus dem Mund, wie aus der Schnauze hier. Hundeschaum, nichts mehr zu machen, Tollwut und aus. Die Alte mit dem zittrigen Kopf sagt: Die Hunde werden abartig von dem vielen Kunstdünger auf den Feldern. Die düngen, und es wachsen doch nur dicke Ratten, verkrüppelte Vögel und schneidiges Gras. Und alles andere bleibt kümmerlich, von Gott vergessen. Was soll ich sagen, wenn mich so ein Hund beißt, ihr jungen Leute könnt wenigstens noch laufen. Vor ein paar Jahren war ich noch die Schnellste, da hat mein Sohn noch gesagt: Du bist wie ein Wirbel, langsam, langsam. Weglaufen macht es schlimmer, sagt der junge Mann. Stehenbleiben muß man, wenn so ein Hund kommt und sicher auftreten, dem Vieh streng in die Augen schauen wie Hypnose. Wenn man gute Augen hat, aber doch nicht durch die Brille, lacht die Alte. Ach du lieber Gott, und ohne meine Brille kann ich doch den Schwanz vom Kopf nicht unterscheiden. Vielleicht hilft auch ein strenger Blick auf den Schwanz, lacht der Schaffner, man muß es probieren. Aber neulich hab ich im Park einen Vogel mit drei Füßen gesehen, sagt die Alte, ich kann es schwören, ich lüge nicht, ich hatte die Brille auf Ich wollte es nicht glauben und frag zwei junge Leute, ob das so ist. Und das war so. Wie stehts mit dem Kopfweh, fragt der mit der Mappe. Schlecht, sagt die Alte, man vergißt seine Jahre, sie sind weg, aber die Augen, die Füße, die Galle, die merken sich die Zeit, dann kommt alles. Der Schaffner knöpft sein Hemd von oben bis unten auf. Zuerst kommt aber der Markt, sagt er, gleich sind wir da.
     
     
    Dich zieht es also nach dem Süden, sagte Albu, auch hier vor der Oper gibts einen Springbrunnen und Tauben. Aber so Mädels wie du lieben die Orangenbäume, und wo enden sie, ha, ha, wo enden sie, im Stundenhotel, bei den Bankräubern mit dicken Goldketten und hohen Absätzen, bei den Stritzis mit eitrigen Pickeln, langen Zähnen und – er hielt den zerknabberten Bleistift vors Gesicht – und so kurzen Schwänzen.
    Hat Albu so einen, ist der Stumpf das Maß.
    Was nehme ich dem Land, wenn ich in ein anderes gehe, fragte ich.
    Der Major wippte mit dem Stumpf zwischen seinem Daumen und Zeigefinger und sagte leise, als rede er mit sich, was ich nicht hören soll: Wer seine Heimat nicht liebt, der begreift das nicht. Und wer nicht denken kann, muß fühlen.
    Lilli legte großen Wert auf die Hände ihrer Männer. Sie hätte dem Balancieren dieser schmalen Hand nicht zugesehen, ohne Albus Finger herzuziehen. Was auch geschehen wär hier drinnen im Büro, Lilli hätte nicht vergessen, daß ihr keiner widersteht, ihn in die Stadt hinaus bestellt und schon gehabt. Ein Fußboden, eine Bank, ein bißchen Gras finden sich zum Liegen, wenn vor Dringlichkeit das Herz abreißt. Albu wäre ohne Titel und Verstand durch Lillis schönes Fleisch gegeistert. An seinen großen Tisch zurückgekehrt und wieder ein Major, hätte er sich vor lauter Fremdeln zuerst gekämmt und dabei an gute Ausreden für seinen Chef gedacht. Er hätte lügen müssen mit zerzauster Angst, wie ich. Ich hätt es ihm gewünscht und Lilli nicht verstanden. Mit einem Augenpaar, in dem die Schlehen sich für alte Männer dunkler färben, hätte Lilli mir gesagt, was ist. Am Geheimnis ein paar Schalen aufgemacht, am Kern geschwiegen mit dieser wohlgelittenen Tabakblüte im Gesicht. Wir hätten uns verletzt, ich sie und sie mich. Aber, von außen gesehen, hätten wir gemütlich im Caké gesessen. Oder wir wären spaziert.
    So kommen wir nie ans Ende, sagte Albu.
    Zur Klärung des Sachverhalts solle ich alle Italiener aufschreiben, die ich kenne. Der Sachverhalt hing mir zum Hals heraus, die Zeit fiel in den Abend, ich kannte keinen Italiener und sagte es umsonst. Er tobte:
    Du lügst.
    Wo er doch vorgab, alles zu wissen. Bestimmt wußte einer wie er, daß ich nicht lüge. Umso länger zwang er mich, hier in seinem Sachverhalt zu bleiben, bis sein Dienst zu Ende ging. Er streckte die Beine, lockerte die Krawatte, warf den Kopf zurück. Er kämmte sich

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