Heute wär ich mir lieber nicht begegnet
Sätze, als würde er schimpfen ohne Ärger im Gesicht. Die anderen hörten zu, hie und da lachten alle, auch er, der gerade noch geschimpft hatte. Oft sah er zu mir herüber. Ich ließ ihn in meine Augen, weil ich nichts Besseres zu tun hatte. Nelu ging die Saisonknöpfe noch einmal mit mir durch. Ich hätt gern ein paar Bemerkungen über die Aserbaidschaner gemacht, aber schon als ich sagte, zu wievielt sie sind, bekam ich von Nelu zu hören:
Menschen zählt man nicht, die spüren das doch.
Und wenn, warum soll man sie nicht zählen, sie sind doch da. Das Brennesselfeld oder die Bahnhofsziege wären unverfänglicher gewesen, aber Nelu hatte dafür keine Augen. Mir kam Nelu ausgeruht vor. Er kann also in diesem Zuglärm schlafen, dachte ich, er und die Ziege. Ein Ticktackmensch, der nachts schläft, um tags zu arbeiten, so einer ist für Dienstreisen gebaut. Der Grund dieser Reise war vom ersten Tag lächerlich. Von der Brennesselstraße Knöpfe bestellen, wo einem die Augen übergehn und die Kleiderberge zu Haus in der Fabrik schon gar nicht mehr wahr sind. Schon die dritte Nacht sah ich seit elf wieder auf die Bahnhofsuhr. Punkt zwei war es geworden. Züge rauschten von ganz weit wie Bäume, dann wie Eisen im Himmel, schließlich drinnen im Kopf zum Zerspringen. Danach war die Stille wund, es bellten Hunde, bis der nächste Zug fuhr. Mein Hirn sickerte zusammen. Es fuhr gerade kein Zug, als es an der Zimmertür klopfte. Ich nahm die Vase unterm Kissen und schrie:
Paschjol Towarisch.
Ich bins.
Im Schlafanzug, barfuß, stand Nelu auf der Türschwelle.
Ich klopf schon eine Weile.
Ich dachte du kannst schlafen, ich mach an diesem Bahnhof kein Auge zu.
Er setzte sich aufs Bett mit dem Kopf in den Händen. Ich öffnete das Fenster und sah den schimmernden Fleck der schlafenden Ziege im Dunkeln, das rote Signallicht weit hinter der Uhr, und ganz draußen ein grünes. Nelu legte sich hin.
Ich schlafe deinetwegen nicht ein.
Das Fenster blieb offen, wir deckten uns zu. Ich wußte, daß jetzt unser hungriges Stöhnen kommt, wie auf den Schienen die Züge. Ich hatte nichts dagegen. Nach einem Tag und einer Nacht in dieser Ödnis war ich soweit, hätte jeden Aserbaidschaner mit der Vase in der Hand empfangen, aber dann zwischen die Beine gelassen. Nelu keuchte, hielt sich an meinen Brüsten fest, Haut an Haut lagen wir an einem Bahnhof, und er sprach von Liebe. Ich ließ ihm das Wort.
Laß gut sein, widersprechen kann ich nach der Dienstreise. Bei mir brauchen die Gefühle vielleicht noch Zeit.
Nelu ist jede Nacht gegen elf gekommen. Das Deckenlicht war aus, die Glühbirne über dem Waschbecken brannte. Eine Halsbeuge lief in die Schulter, die Linien der gebogenen Arme und Beine kamen ins Schwimmen, zwei gefangene weiße Augen, das war Nelu. Alles andere war im Dunkeln. Was die Ödnis dieser Stadt zermürbt hatte, sollte die Liebe richten. Er wollte mich die ganze Nacht, sein Fleisch und sein Hirn waren sich einig, trafen sich dort, wo man nichts mehr denkt. Mir gelang nichts, ich wimmerte ohne zu vergessen, wo ich bin. Ich sah zur Bahnhofsuhr, und sie schaute zurück. Ich blieb hell im Schädel wie das eingeteilte Zifferblatt am Giebel. Ich hätt diesen Schritt gegen die Ödnis von mir aus nicht getan. Und wenn, dann mit einem Aserbaidschaner. Der hätte mir die Nacht verkürzt, eine oder alle, die noch kamen. Aber im Restaurant, am langen Tisch, hätt ich ihn nicht erkannt. Ich wär mir jeden Abend vorgekommen, als suche ich beim Nachtessen einen bestimmten Knopf zwischen vierunddreißig gleichen. So hätte auch jede Nacht ein anderer kommen können, von außen gar kein Unterschied. Wenn überhaupt, hätt ich es nur an seiner Art gemerkt. Oder waren die im Bett auch gleich. Nach der Dienstreise hätt ich den Mann für zehn Nächte oder die zehn Männer für je eine Nacht nie mehr getroffen. Nelu hatte mit mir angefangen, ich war keine Anstifterin. Gegen zwei Uhr schickte ich ihn jede Nacht auf sein Zimmer zurück. Sogar die letzte Nacht ging er ungern, aber brav folgend, um sich nichts zu verderben.
Vor der Heimfahrt morgens um fünf streifte die Ziege um den Pflock. Ich gab ihr ein Stück Brot. Sie fraß, ohne vorher daran zu schnüffeln. Kaum im Zugabteil schlief ich, holte alle Nächte nach, hörte kein Rauschen und nichts mehr um mich. Als der Zug im Hauptbahnhof einfuhr und Nelu mich weckte, lag mein Kopf auf seiner Schulter, wie kam es. Wir gingen in den lauten Morgen der Stadt zur Bushaltestelle. Nelu
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