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Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Titel: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Müller
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verzehren. Ich wollte mich verändern mit den Händen, aber in den Händen brauchte man ein Portemonnaie und darin einen Haufen Scheine. Ich kaufte alles auf Anhieb, unüberlegt. Im Vergleich zu heute hatte ich winzige Sorgen, es war die Zeit vor den Zetteln. An zwei, drei Nachmittagen verpulverte ich mein Gehalt und lieh mir Geld. Nicht nur von Nelu, auch von Leuten, die ich nur flüchtig kannte. Auch das Geliehene flog mir aus den Händen und ging den Weg der Kleider. Morgens kam ich ins Büro und legte als erstes den Taschenspiegel auf meinen Schreibtisch. Zwischen den Knopflisten sah ich mich ständig an. Nelu lobte mich jeden Tag mehr. Haare kürzer schneiden konnte man nicht täglich. Zum Auffrischen der Überzeugung, daß es mir nicht schlecht geht, blieben nur neue Kleider. Wenigstens einen Tag waren sie neuer als mein Gesicht. Natürlich dachte ich an meine Schulden und kaufte noch mehr. Große, fiebrige Augen, nur um den Kehlkopf war es mir eng. Das Augenblickliche war immer stärker als mein schlechtes Gewissen. In der Nachmittagssonne auf dem Korso drehten die Leute sich nach Lilli um, weil sie schön war und nach mir, weil ich sie einhängte und laut sang:
    Ja der Baum hat ein Laub
    und ein Wasser der Tee
    das Geld ein Papier
    und das Herz einen falschrum gefallenen Schnee.
    Wir spielten Besoffene, ich torkelte und sang, Lilli torkelte und lachte Tränen. Bis ich sagte:
    Ein Kleid macht keine Schulden, auch ein Schuh macht keine. Auch ich nicht, aber das Geld macht Schulden. Bei manchen wächst es nach wie die Stoppeln am Bart, und ich, ich bin immer kahl. Wenn das Geld in meiner Tasche ist, hab ich was. Dann hab ich auf einmal nichts mehr, weil es in der Ladenkasse liegt. Aber dort bleibt es doch genau so viel wert, wie es ist. Es liegt ja dort, und ich sehe es. Und ich habe nichts, nur weil es zwanzig Zentimeter weiter von meiner Tasche liegt, verstehst du das.
    Wenn man alt wird, sammelt es sich, sagte Lilli, willst du deshalb alt sein. Ach was, von denen sitzt keiner auf den paar Scheinen, die er dir geliehen hat. Du läufst ja nicht weg.
    Was an meiner Eitelkeit neuerdings nicht zu stillen war, verwechselte Lilli mit Selbständigkeit. Ich lief schon nicht weg. Nicht von der Fabrik, aber vor meinem Verstand, dem eisernen Püppchen in der Stirn, das dem rostigen Antonius auf dem Tischtuch, am Ende der Silvesternacht, glich.
    Solang ich bei den Schwiegereltern wohnte, packte mich, wenn ich im Garten stand, ängstliches Staunen, daß Heckenrosen, die mein Schwiegervater in einigen Minuten veredelte, jeden Sommer mit Samtknäueln blühten. Sie wurden nie rückfällig im neu gewachsenen Holz. Rosenveredeln, mir kam das vor, wie eine Gesichtsoperation an den Hüften. Ich stellte allerlei Blumen ins Zimmer, aber nie eine veredelte Rose. Wer konnte wissen, ob sie sich beim Schneiden nicht noch ein Stück verändert. Was ich nach der Trennung an mir verändern konnte, war bei aller Mühe nur das Laub. Nach den langen Ehestreitigkeiten kamen Tage, an denen mich niemand anschrie. Jeder Tag hielt mich abseits von den Leuten, ich war aus allen Augen weggestellt, wie in einen Schrank und wünschte, es soll so bleiben. Die Veranlagung zur verwilderten Einsamkeit hielt sich bei mir auf und verschwand, bevor sie bei meiner Mama ausbrach. Dann stand meine Mama ohne Geheimnis vor mir, ganz allein übriggeblieben in ihrem Haus, als ich sie letztes Mal besuchte. Und ich hatte kein Mitleid. Im Unterschied zu ihr hab ich diese Veranlagung nicht aufgeschoben. Ich bin nicht so stur, und vor allem nicht so spät mit meinem Leben dran wie sie, der alle weggestorben sind, und ich weggeflattert. Als wäre ich die Mutter und sie das Kind, so sah ich mich von früher in ihrem Dreinfinden. Im Licht des Fensters war sie zum Verrücktwerden fremd, am Geschirr der Stellage zum Weglaufen bekannt, so ging sie durchs Haus. Ich verstand, daß diese Veranlagung eine fürs späte Leben ist und mich zu jung getroffen hat, es war zu früh.
    Ich wohnte in Miete bei einem mageren, immer lächelnden Mann. Sein Lächeln schien ein Gesichtszug zu sein, keine Äußerung. Hinten bucklige Schultern, vorn gewölbte Schlüsselbeine, ein Vogelkäfig stand vor meiner Tür, wenn er wegen der Miete kam. Durchsichtige Haut im Gesicht, als zerreiße sie am Reiben der Knochen, keine Falte und doch sehr alt. Ich vertröstete ihn das fünfte Mal und bat ihn ins Zimmer herein auf einen Tee. Er winkte ab, nickte und piepste, und ich fragte mich, wielang der

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