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Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Titel: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Müller
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lösten sich die Reihen aus Menschen und Krempel auf Zigarettenstummel lagen zwischen den Mustern gerippter Schuhsohlen. Der Staub flog uns in den Nacken, ich hätte mich für die Klotür bedanken müssen, meine Zunge hob sich nicht im Mund. Mein verkauftes Gold in diesem Dreck, sechstausend Lei waren für mich ein Vermögen. Der Staub hatte den gleichen Weg wie unsere Füße und lief voraus. Der Wind nahm Anlauf, zog lange Schleifen und ließ sich fallen. Im Drahtzaun um das Gelände verfingen sich Papierfetzen und alte Kleider. Paul legte sein Wachstuch zusammen, immer kleiner, bis es eine blaue Aktentasche war, er klemmte sie auf den Gepäckträger. Dann zählte er Geld in meine Hand, mein Ellbogen vergaß sich und gab nach, Paul spuckte in die Hände. Er zählte Scheine, und ich wartete, daß seine Finger danebengreifen, aus dem Geschäft an meinen Puls.
    Mein Wasserball und die Brosche lagen immer noch auf der Zeitung, kein Mensch hatte danach gefragt, ich wollte gehen und sie hier liegenlassen. Paul blies den Wasserball auf, warf ihn hoch. Er flog von mir weg, vom Boden, vom dreckigen Sonntag losgerissen wie eine geschälte Melone. Er war, als er mir nicht mehr gehörte, so schön. Und ich, ich hätte mich rasch in die Kniebeuge setzen, mit den Augen lachen und mit dem Mund weinen wollen. Es war das erste verkehrte Glück mit Paul. Und mitten hinein fragte er:
    Was tut man an einem Sonntag mit vollen Taschen und leeren Herzen?
    Er hob auch die Brosche auf, polierte sie am Hosenbein, eine gläserne Katze mit verbogenem Schnurrbart aus Kupferdraht. Er steckte sie ans Hemd. Als er das Motorrad neben sich schob, zuckte ihr Schnurrbart, sie fing an zu atmen.
    Wenn du willst, fahren wir in den Jagdwald, sagte er, dort kann man draußen sitzen, im Restaurant, wenn du willst.
    Wenn du die Katze wegwirfst, sagte ich, du siehst aus wie ein Tagedieb.
    Das glaub ich nicht, sagte er, aber er warf sie hinter sich in den Staub, knapp vorbei an einem Mann, der nur kurz die Augen hob und mit den großen Schritten des Verspäteten zum Ausgang ging.
    Auf den wartet die Schwiegermutter mit der Hühnersuppe, sagte Paul, keine Eile, die ist sowieso schon kalt.
    Er hatte in diesem Windstaub meinen Ehering verkauft, ob er mich für das gutherzige Flittchen hielt, mit dem man das viele Geld verjuxen kann. Den kleinen botanischen Garten am Jagdwald und ein paar lateinische Blumennamen kannte ich von den Spaziergängen mit meinem Mann und seinen Eltern. Ich wohnte damals bei ihnen, unten im Hof. Man ging vom Gartenweg direkt ins Zimmer. Im Winter blies der Kohleofen statt Wärme weihrauchdicke Luft zur Decke. Vom Frühjahr bis zum Spätherbst die Wände und Fensterrahmen entlang Ameisenschnüre, in den Zimmerecken und Schubladen Ameisenklumpen, auf dem Tisch und im Bett geschäftige Einzelgänger. Auch in der Küche. Meine Schwiegermutter teilte die Suppe aus. Wenn ihr Mann seinen Teller hinschob, schwenkte sie den Schöpflöffel lange auf dem Topfboden, als würde sie Gemüsestücke suchen. Sie rührte die Ameisen an den Rand. Dennoch waren auch im Teller ihres Mannes einige drin. Er fischte sie mit dem Löffel an den Rand, als wär es ungewöhnlich.
    Wo kommen die schon wieder her.
    Meine Schwiegermutter sagte:
    Reg dich nicht auf, das ist Pfeffer.
    Wenn das Pfeffer ist, dann bin ich eine Nachtigall.
    Es ist gemahlener Pfeffer, mein Liebling.
    Und seit wann hat der Pfeffer Füße, fragte er.
    Nach der Trennung war ich mit zwei Säcken Kleidern und Kram ausgezogen. Koffer nahm ich seit der Brücke nicht mehr in die Hand. Den Stein aus den Karpaten brachte mein Mann mir ans Tor nach, in einer Plastiktüte. Ich hätt ihn vergessen, und jetzt ist er so wichtig für meine Nüsse. Ich fühlte mich ohne Alter, konnte zwischen frei und einsam meist nicht unterscheiden, wie ich bin. Alleinsein war weder eine Last noch ein Vergnügen. Mir tat nichts leid, außer, daß ich von drei Ehejahren zwei zu lang geblieben war. Ich ließ mir das Haar kurz schneiden, kaufte mir Kleider. Und für die neu gemietete Wohnung Bettzeug, den Kühlschrank und zwei Teppiche auf Raten. Ich wollte mich rasch ändern, solang die frische Zeit die Richtung angibt. Lilli mußte sich ja nie verwandeln, ihre Nase war nicht eitel, weil einer kühlen Tabakblüte nichts geschehen kann. Wenn die Liebe mal zu Ende ging, stand sie wohlgelitten im Gesicht. Über verplemperte Gefühle wußte Lilli ihren Teil, aber auch daß es demnächst zwei andere Augen gibt, die sich nach ihr

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