Heute wär ich mir lieber nicht begegnet
zieht ein Zeitungsstanitzel mit aufgeweichten blutroten Beulen heraus. Sie nimmt sich eine Hand voll Kirschen aus dem Stanitzel, ausgerechnet Kirschen. Die Kerne spuckt sie in die andere Hand. Sie läßt sich keine Zeit, lutscht sie nicht sauber ab, an jedem Kern klebt noch Fleisch. Was treibt sie so zur Eile, es frißt ihr doch niemand ihre Kirschen weg. Ob sie schon einmal bestellt war, oder irgendwann bestellt wird. Bald ist ihre Hand so voll mit Kernen, daß sie die Finger nicht mehr schließen kann. Meinetwegen könnte sie die Kerne auf den Boden spucken oder unauffällig fallen lassen, mich stört es nicht. Es stehen Leute bis zum Schaffner, auch die stört es wahrscheinlich nicht. Der Schaffner wird sie erst am Abend finden und sich ärgern, weil er den Wagen kehren muß, aber da wird auch noch anderes vom Tag herumliegen. Was dem alten Offizier mit Lilli bloß eingefallen ist. Jedes Jahr wird es die Kirschzeit geben, von Maikirschen bis zu Septemberkirschen, so lang die Welt steht, ob man möchte oder nicht. Was hat er nun davon, im Gefängnis gibt es keine. Gut, daß der Wagen jetzt so voll ist, bei Albu hab ich Platz genug. Und auf dem Heimweg, wenn es heut noch einen gibt. Wenn es spät wird, fahren die Straßenbahnen selten. Ich werde warten, zu den paar Leuten einsteigen, ins unsinnige, gelbe Licht. Wenn von denen einer am späten Abend, nach dem Nachtessen vielleicht, Lust auf Kirschen hat, soll er doch ruhig essen.
Erst am übernächsten Tag ging ich zu meinem Vermieter. Ich bezahlte die Schulden, zweitausend Lei. Seine Hände waren so dünn mit Haut überzogen wie sein Gesicht. Ich zählte die Scheine hinein, und er meinte, er zähle nur in Gedanken mit, aber man hörte ihn flüstern. Ein zerknitterter Schein fiel auf den Boden, ich hob ihn auf und glättete ihn nicht, er lag falsch herum, und die Hand des Vermieters griff nicht fest. Der Alte war im Nehmen noch schlechter als ich auf dem Flohmarkt. Woran er dachte, als er sagte:
Ach Gott, meine Hände sind schmutzig vom Kartoffelschälen, ich mach mir heut Püree. Schmeckt Ihnen das. Ich hab schon gegessen.
Mit Schnitzel und Salat.
In dem Moment sehe ich aus seiner Tasche einen Holzgriff stehen, und der ist von einem Messer. Er hat das Kartoffelmesser, als ich klingelte, nicht in der Küche gelassen, sondern eingesteckt. Entweder weil er jemanden erwartet und es bei sich haben will. Oder weil er das Messer in den Händen vergessen und erst beim Türöffnen daran gedacht hat, daß ein Messer jederlei Besuch erschreckt. Ich zähle ihm das Geld schnell in die Hand, damit ich bald gehen kann. Dann aber machten wir ein Geschäft. Er lächelte und piepste und kaufte mir den Kühlschrank und die Teppiche ab und gab mir einen Hunderter mehr, als er von mir bekommen hatte. Um ihn zu holen, geht er zurück in die Küche. Und als er mit dem neuen Hunderter kommt, ist das Messer immer noch in seinem Rock, weil er es wieder vergessen oder absichtlich behalten hat.
Ich zieh zu einem Mann und einem Motorrad, sagte ich.
Der vom Flohmarkt, sagte er.
Kennen Sie ihn, fragte ich.
Wenn es der ist.
Waren Sie auch auf dem Flohmarkt.
Und im Jagdwald, sagte er. Ich such mir erst im Winter jemand, dann ist die Wohnung teurer. Für Sie nicht, wenn etwas schief geht, kommen Sie wieder.
Haben Sie deshalb den Kühlschrank und die Teppiche gekauft.
Nur weil ich sie brauche.
In dem Moment wußte ich nicht, ob er die Sachen meint oder mich und sagte:
Ich wohne in dem verrutschten Turmblock.
Er wußte, wo das ist.
Am ersten Morgen im verrutschten Turmblock hatten Paul und ich so viel geredet, bis die Sonne im Mittag stand. Mich wunderte schon, wieweit man zu Müttern und Vätern zurückdenken muß, nur um zu sagen, woher der eine von uns zum anderen kommt. Taschentücher, Mützen, Kinderwagen, Pfirsichbäume, Manschettenknöpfe, Ameisen – sogar Staub und Wind hatten Gewicht. Über gelaufene Jahre läßt sich gut reden, wenn sie schlecht gelaufen sind. Doch wenn man sagen müßte, wer man jetzt beim Atmen ist, läge der Zunge entlang nichts als mulmiges Schweigen.
Am Nachmittag ging Paul in den Laden und kaufte sich eine Flasche gelben Büffelgrasschnaps. Die Sonne stieg in den Abend, der Schnaps in Pauls Kopf. Auf dem Küchentisch beeilte sich eine Ameise, Paul schwenkte ein Streichholz über ihr hin und her.
Wohin gehn die Ameisen, in den Wald.
Wohin ist der Wald, ins Holz.
Wohin ist das Holz, ins Feuer.
Wo ist das Feuer hingegangen, ins
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