Hex
letzte Zweifel anmeldete. »Glauben Sie wirklich, daß das, was wir hier in Berlin treiben, uns für diese Sache qualifiziert? Die Jagd auf...«
»Fischmenschen im Wannsee«, bemerkte Max trocken.
»Nicht für die wissenschaftliche Bewertung«, antwortete Zacharias. »Die werden später andere übernehmen. Es interessiert mich nicht, wie groß und tief dieser Krater ist. Ich will wissen, was in seiner Mitte liegt.« Er zögerte, dann fügte er mit leuchtenden Augen hinzu: »Und wo es, um Himmels willen, herkommt.«
Kapitel 3
Die Reporter waren alle da, und das machte aus dem Mißgeschick eine Katastrophe. Vorne, gleich in der ersten Reihe, saß die fette Schwanheim von der Berliner Illustrirten Zeitung, schräg hinter ihr der skandalverliebte Beckmann vom 12-Uhr-Blatt. Sogar die Dame hatte jemanden geschickt. Keiner von ihnen, weder die Schwanheim noch Beckmann, gehörten zur ersten Klatschgarnitur, aber sie besaßen Einfluß genug, um Schaden anzurichten. Finanziellen Schaden, aber auch seelischen. Der Magier war sensibel, ein Künstler, und er schätzte es nicht, wenn man sich über ihn lustig machte.
Um so schlimmer, daß die Schuld allein bei ihm lag. Er hatte die Aufhängung höchstpersönlich überprüft, und er war sicher, selbst jetzt noch, daß sie in Ordnung gewesen war. Es hätte nicht passieren dürfen.
Begonnen hatte alles wie immer. Der schwarze Vorhang war aufgegangen, und der Magier war unter Applaus aus den Schatten getreten. Die Bühnenscheinwerfer erfaßten ihn dabei in so glücklichem Winkel, daß es auf die Zuschauer, selbst auf jene, die am nächsten saßen, wirken mußte, als materialisiere er sich aus leerer Dunkelheit. Hübsch, aber noch kein wirkliches Kunststück.
Sodann trat er an die lange schwarze Kiste, geformt wie ein Sarg, die in der Mitte der Bühne stand. Wortlos präsentierte er das leere Innenleben und legte sich hinein. Ein künstlicher Donner krachte, Rauch und kleine Blitze stiegen auf, und dann fiel Licht auf die erste Attraktion des Abends. Das Pendel.
Mit scharfen, sausenden Geräuschen schwang es über dem Sarg hin und her, eine mannslange Klinge, geschwungen wie ein Sarazenensäbel. Dabei rückte es tiefer und tiefer. Noch wenige Sekunden, dann würde es den Deckel des Sarges streifen, ihn beim nächsten Schlag berühren, immer tiefer und tiefer schneiden, um schließlich den Magier auf Höhe des Bauchnabels zu zerteilen. Ein primitiver Trick, fürwahr, aber der Magier wußte, daß er immer und immer wieder funktionierte. Stöhnen. Schreie. Dann stehende Ovationen. So war es jedesmal.
Nur nicht an diesem Abend. Heute hatte sich das Pendel nach dem fünften oder sechsten Schlag gelöst, war vom eigenen Schwung nach vorne gerissen worden, über den Sarg und den Magier hinweg – direkt in die Richtung der vorderen Reihen. Nur ein Wunder hatte verhindert, daß die Klinge ein Blutbad anrichtete. Der Schaft des Pendels war gegen die Schiene des Bühnenvorhangs gestoßen, dadurch aus der Bahn geraten und geradewegs nach unten gekracht. Zwei Schritte vor den vorderen Gästen war die Schneide auf den Boden geprallt und hatte eine handbreite Kerbe ins Parkett geschlagen.
Das war vor fünf Minuten gewesen, und die meisten Zuschauer – jene, die nicht gleich hinausgestürzt waren – standen immer noch empört zwischen den Sitzreihen und schrien Beschimpfungen und Vorwürfe in die Richtung der Bühne. Es war kein gehobenes Publikum, keine feinen Damen und Herren in Abendgarderobe, sondern schlichte Männer und Frauen, die mit eigenen Augen hatten sehen wollen, was denn an dem hochgelobten Magier so Großartiges war, daß selbst die Zeitungen auf ihn aufmerksam geworden waren. Obwohl er doch – und später würde es deshalb heißen: Man hätte es ja wissen müssen! – in keinem der großen Theater mit Logenplätzen und Galabeleuchtung auftrat. Freilich, das wäre der nächste Schritt gewesen, sein Einzug in die Welt der glitzernden Schaubühnen. Dies war der Abend gewesen, der es allen hatte zeigen sollen: Hier ist das nächste große Talent am Unterhaltungshimmel!
Die Klatschreporter waren als erste verschwunden, zweifellos, um das Erscheinen ihrer Schmähschriften in der Morgenausgabe zu sichern. Sie hätten dem Magier den Aufstieg zu wahrer Größe sichern sollen, und nun würden sie es sein, die seinen Untergang besiegelten. Nach Erscheinen ihrer Artikel würde es mit seiner Karriere vorbei sein. Er mußte ihre Texte gar nicht erst lesen, um zu wissen, mit welcher
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