Hex
schwieg, und kein Zucken verriet, was sie dachte. Max trat wortlos neben sie.
Das Tal hatte keinen Boden mehr. Keinen natürlichen.
Unvorstellbare Hitze hatte das Gestein zusammengeschmolzen. Dort, wo einst Felsen und Schnee gewesen waren, glitzerte eine Fläche aus Glas, wellig und funkelnd wie erstarrtes Wasser. Die Glasebene lag tiefer als der übrige Talgrund, ihr Rand war wie ausgestanzt.
Der zweite Krater innerhalb weniger Wochen, ungleich kleiner als der an der Ostküste, dafür tiefer und mit größerer Hitze und Wut in die Felsen gebrannt. Die Häuser Qaanaaqs, jenseits der Hügel, hatten gebebt, aber es waren keine Scheiben gesprungen. Es war eine kontrolliertere, gezieltere Explosion gewesen als die erste.
Bis vor wenigen Tagen hatte dort unten die Station der Gesellschaft gestanden, eine Ansammlung aus Wellblechhütten über unterirdischen Laboratorien. Keine Spur deutete jetzt mehr darauf hin. Nichts war übriggeblieben. Die Gebäude, die Menschen und ihre geheimen Erkenntnisse hatten innerhalb eines Sekundenbruchteils aufgehört zu existieren.
Sina ergriff Max’ Hand und drückte sie durch den Fellhandschuh. Er blickte ihr ins Gesicht und sah, daß sie weinte. Er umarmte sie. Kein Kuß, aber warme, zärtliche Zuneigung. Freundschaft.
Engumschlungen standen sie auf der Hügelkuppe, im Licht der untergehenden Nordmeersonne, unter sich die letzte Spur der Fremden, ein Abgrund aus Glas und Fels. Ein Mahnmal.
Sie hatten nicht anders gekonnt, hatten es mit eigenen Augen sehen müssen. Es war so wichtig, Gewißheit zu haben, so wichtig, nach allem, was geschehen war.
Nach einer Ewigkeit lösten sie sich voneinander, drehten dem Krater den Rücken zu und stiegen langsam den Berg hinab.
Die Schlittenhunde bellten, als sie zurückkehrten, wedelten freudig mit den Schwänzen, als wären sie keine Fremden mehr.
Und das waren sie nicht.
Keine Fremden. Nicht auf dieser Welt, nicht hier.
Anderswo.
ENDE
Nachwort des Autors
Credo, quia impossibile est.
Ich glaube es, weil es unmöglich ist.
Tertullian
Der Nürnberger Holzschnitt ist keine Fiktion und keine Fälschung. Er tauchte vermutlich Ende April 1561 in den Straßen der Stadt als Flugblatt auf. Ein Text auf der Rückseite datiert die Erscheinungen am Himmel auf den 14. April 1561. Das Original – blau, orange und grün koloriert – gehört zum Fundus des Pfarrers Johann Jakob Wick (1522–1614), der aus ähnlichen Flugblättern, Zeitungsnachrichten und Berichten von Freunden ein reichhaltiges Archiv über Curiosa des 16. Jahrhunderts anlegte. Die sogenannte »Wickiana«, immerhin dreiundzwanzig Bände stark, wird seit 1836 in der Graphischen Sammlung der Zentralbibliothek Zürich aufbewahrt. Der Künstler Hanns Glaser, der den Holzschnitt anfertigte, war vermutlich von 1540 bis 1571 in Süddeutschland tätig. Von einigen Randnotizen in einschlägigen Werken abgesehen, ist sein Schaffen in Vergessenheit geraten.
Über das Wirken der Thule-Gesellschaft wurden zahlreiche Bücher und Abhandlungen verfaßt. Manche Historiker halten sie für einen der wichtigsten Ursprünge des Dritten Reiches, andere lehnen diese Theorie vehement ab. Fest steht, daß zahlreiche Merkmale der Gesellschaft, von germanischen Herrschafts-Phantasien bis zu einem fanatischen Interesse an nordischer Mythologie (einschließlich ihrer Verfälschung im Dienste des Nationalsozialismus), von Hitlers Regime übernommen wurden. Rudolph von Sebottendorff, die Graue Eminenz der Gesellschaft, starb im Mai 1945, einen Tag nach Kriegsende. Sein Leichnam trieb im Bosporus. Freitod, meinen die einen, Mord, die anderen.
Rechte Schriftsteller haben immer wieder die Behauptung publik gemacht, es sei Hitlers Wissenschaftlern gelungen, »goldene Flugscheiben« herzustellen, die, wären sie nur einige Jahre früher einsatzbereit gewesen, dem Zweiten Weltkrieg eine entscheidende Wende gegeben hätten. Beweise dafür sind nie aufgetaucht. Forscher haben die Berichte über Nazi-Flugscheiben als das abgetan, was sie zweifellos immer waren: als propagandistisches Gefasel. Trotzdem habe ich mich entschlossen, ihre Legende im Roman zu verarbeiten.
Die Treppenfalle, die im letzten Teil des Buches eine Rolle spielt, könnte wie beschrieben existieren. Studien belegen, daß das unbewußte Steigverhalten des Menschen von äußeren Einflüssen abhängig ist, ganz besonders von Wanddekorationen, wie sie sich in zahlreichen Sakralbauten des Mittelalters finden. Messungen des Steigverlaufs auf
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