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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Anstalten ihn anzugreifen. Er stand einfach nur im Dunkel neben der Tür und streckte ihm beide Handflächen entgegen. Obwohl der Magier sein Gesicht nicht erkennen konnte, hörte er doch am Klang seiner Stimme, daß er den Schal heruntergezogen hatte.
    »Sie waren gut, damals«, sagte der Mann. »Sie können die Waffe weglegen, aber das werden Sie nicht tun, nicht wahr?«
    »Nicht, bis ich weiß, weswegen Sie hier sind.«
    »Ich möchte Ihre Dienste in Anspruch nehmen. Der Preis ist unwichtig.«
    Der Magier versuchte, mit den Augen die Dunkelheit zu durchdringen. Die Stimme kannte er nicht. Wahrscheinlich würde ihm auch das Gesicht nichts sagen.
    Die Mündung deutete weiterhin auf den Besucher. Draußen vor der Tür rannte ein Trupp Bühnenarbeiter vorbei, das Poltern ihrer Schritte war ohrenbetäubend.
    »Ich gehe dieser Arbeit nicht mehr nach, von der Sie sprechen«, sagte der Magier. Seine Zunge fühlte sich trocken und pelzig an.
    »Oh, das weiß ich.« Die Stimme des Fremden klang amüsiert. »Ich habe im Publikum gesessen. Schon mehrfach. Sie sind jetzt ein Magier, ein sehr guter, wie ich betonen möchte. So hat man Sie doch früher schon genannt: der Magier, nicht wahr?«
    »Wer sind Sie?« fragte er noch einmal und wußte doch längst, daß er auch diesmal keine Antwort bekommen würde.
    »Aber, aber«, sagte der Mann. »Sie haben die Regeln doch nicht verlernt? Unter solchen Umständen müßte ich mich an jemand anderen wenden. Und das will ich nicht.«
    »Ich weiß nicht, wovon sie sprechen«, log der Magier halbherzig. War die Polizei doch noch auf seine Spur gestoßen? Nach all den Jahren? War das Ganze eine Falle? Lieber Gott, Oslo und Kopenhagen, das war eine ganze Weile her. Fünf, nein, sechs Jahre.
    »Sie wissen es, und ich weiß es. Und ich bin der Ansicht, wir sollten zur Sache kommen und auf diese Spielchen verzichten.« Der Mann klang jetzt ein wenig ungehalten. Nicht ungeduldig oder nervös, trotz der Pistole. Nur gelangweilt. »Ich habe heute abend dort draußen gesessen. Das war eine wichtige Vorstellung für Sie, nicht wahr? Die Zeitungsleute waren hier. Gute Kritiken hätten Ihnen neue Engagements gebracht, auf größeren, angeseheneren Bühnen. Aber so, wie es aussieht, wird daraus nichts. Sie hatten ein kleines Problem, wie mir schien.«
    Der Magier blieb ruhig. Die alten Instinkte funktionierten noch. Aber ein Gedanke schoß ihm siedendheiß durch den Kopf: War der Sturz des Pendels kein Unfall gewesen? Hatte jemand nachgeholfen? Dieser Mann, vielleicht?
    Dann würde er ihn töten, gleich hier.
    Aber, nein, er selbst war der letzte gewesen, der die Aufhängung geprüft hatte. Der Bereich über der Bühne war während der gesamten Vorstellung gesperrt. Die Arbeiter hätten niemanden dorthin gelassen.
    Es sei denn gegen Schmiergeld.
    Der Magier spürte den kühlen Abzug der Waffe unter seinem Zeigefinger. Der Drang, einfach abzudrücken, wurde immer stärker. Er kannte dieses Gefühl nur zu gut. Und es gefiel ihm noch immer.
    Aber diese Zeiten waren endgültig vorbei. Das hatte er sich geschworen.
    Und was, wenn deine Karriere als Zauberer gleichfalls am Ende ist? Wirst du dann wieder der alte Magier sein? Derselbe, der du früher warst?
    »Verschwinden Sie«, zischte er tonlos und deutete mit der Waffe auf die Tür. Das war ein Fehler, und er wußte es im selben Augenblick. Nimm niemals die Mündung vom Ziel, niemals! Früher wäre ihm das nicht passiert. So viele Jahre...
    Aber der Fremde nutzte seine Chance nicht. Er fühlte sich nicht gefährdet oder wollte wenigstens diesen Anschein erwecken. »Nennen Sie mir einen Preis«, bat er mit aufgesetzter Freundlichkeit, »irgendeinen, der Ihnen angemessen erscheint. Wir sind bereit, ihre Dienste großzügig zu vergüten.«
    Der Mann sagte »wir«, was dem Magier keineswegs entging. Er selbst war nicht der Auftraggeber, und das, was er im Sinn hatte, sicherlich kein Kinderspiel. Ein einzelner hätte niemals die Spuren bis in dieses Theater zurückverfolgen können. Vielleicht gehörte der Mann zu einer Gruppe, für die er bereits früher gearbeitet hatte. Wiewohl, die meisten davon existierten nicht mehr oder waren ohne Bedeutung. Seine innere Stimme aber sagte ihm, daß es hier um eine ganz große Sache ging. Etwas Außergewöhnliches. Und genau das war der Punkt, an dem er schwach wurde. Er witterte eine Herausforderung.
    Denk an deinen Schwur! Du hast dich von all dem verabschiedet. Nie wieder, hast du gesagt. Nicht nach Kopenhagen und

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