Hex
kleinen Kindes.
»Guten Morgen«, sagte Zacharias steif, als sie sein Büro betraten. Der Raum war in stilechtem Biedermeier eingerichtet, Tische, Sessel, sogar der schnörkelige Bilderrahmen, aus dem Reichspräsident Hindenburg herabblickte. Scheußlich, fand Sina. Sie fühlte sich jedesmal, wenn sie das Büro des Alten betrat, um hundert Jahre zurückversetzt. Rückschrittlichkeit war etwas, das sie verabscheute, einer der Gründe, weshalb sie sich begeistert das Haar hatte kurz schneiden lassen.
»Wie war’s im Atelier?« fragte Dominiks Vater, nachdem sie und Max vor seinem Schreibtisch Platz genommen hatten.
»Ihr Sohn schreibt den Bericht«, erwiderte sie knapp. Sie würde den Teufel tun, in Max’ Gegenwart ihr Scheitern einzugestehen. Nicht, wenn es sich vermeiden ließ.
Zu ihrer Erleichterung fragte Zacharias nicht weiter. Demnach hatte er sie nicht wegen der Ereignisse vom Vorabend herbestellt.
Johannes Zacharias war ein großer Mann, über einen Meter neunzig, und trotz seines Alters von Anfang Sechzig hielt er sich gestreckt wie ein Soldat. Sina wußte, daß er im Krieg einen hohen militärischen Rang bekleidet hatte, kurz darauf aber in Ungnade gefallen war. Als er seinen Vorgesetzten im Innenministerium die Gründung des Hex vorgeschlagen hatte, waren sie – so wurde zumindest unter den Agenten gemunkelt – nur zu glücklich gewesen, den Alten bis zur Pensionierung dorthin abzuschieben. So war das Hex von Anfang an das gewesen, was es auch heute noch war: das Sammelbecken der Unerwünschten, der, wie es hieß, »Unstabilen«. Nicht in politischer Hinsicht, wie man hätte annehmen können; wer die Arbeit bei Geheimdienst und Staatspolizei nicht mehr verkraftete – geistig nicht mehr verkraftete –, der landete hier. Fortan durfte er sich auf die Verfolgung von Fischmenschen konzentrieren, die am Wannseeufer Pudel fraßen. Oder auf Spinnen mit Fledermausflügeln. Oder auf...
»Frau Zweisam, störe ich Sie vielleicht?«
Die Stimme des Alten ließ sie aufschrecken. »Ich... nein, Verzeihung.«
»Ich erklärte gerade, daß Ihnen beiden eine größere Reise bevorsteht. Sind Sie schon mal geflogen?«
Sie wollte verneinen, aber Max kam ihr zuvor. »Es heißt ›fahren‹. Mit einem Luftschiff fliegt man nicht, man fährt.«
Zacharias funkelte ihn ungehalten an. »Vielen Dank, Maximilian. Ich schätze es, wenn du so aufmerksam zuhörst.« Er duzte ihn und nannte ihn beim Vornamen, weil er ihn seit seiner Geburt kannte. Zacharias war Max’ Pate.
Der Alte hielt nicht viel von ihm, jeder hier wußte das, genauso wie jedem klar war, daß Max nur hier saß, weil sein Vater Zacharias darum gebeten hatte. Dabei legte er selbst nicht den geringsten Wert darauf. Er war Kulturhistoriker, hatte sein Studium ein Semester vor dem Abschluß abgebrochen und hätte sich liebend gern für den Rest seines Lebens mit Treppen – und mit Larissa – beschäftigt. Sein Vater verabscheute beides, seine Braut noch mehr als seine Forschungen, und er hatte Max mit der Streichung seines Erbteils gedroht, wenn er keine Laufbahn im Staatsdienst einschlug. Max aber war auf das Vermögen seiner Familie angewiesen, wenn er seine Untersuchungen an Treppen in ganz Europa fortsetzen wollte. Seine Reisen verschlangen enorme Geldbeträge. Seit er fürs Hex arbeitete, war ihm zwar das Erbe gewiß, aber er hatte keine Zeit mehr, es zu nutzen.
»Du kennst dich mit Luftschiffen aus, nicht wahr?« fragte Zacharias, obgleich er die Antwort kannte.
»Ich hab’ ein paarmal drin gesessen. Aber mir wird schlecht in der Luft.«
»Das tut mir leid«, bemerkte der Alte, und es klang weder aufrichtig noch ironisch. Er hatte die Fähigkeit, sein Gesicht von allen Emotionen reinzuwaschen.
Zacharias wirkte stets altmodisch und korrekt, und so war es um so verblüffender, daß gerade er das Hex ins Leben gerufen hatte. Pseudo-übernatürliche Erscheinungen, die Zerschlagung von Satanssekten und Geisterzirkeln – das waren Dinge, die in keinerlei Einklang zu seinem Wesen standen. Und trotzdem war es sein Vorschlag gewesen, die Beschäftigung damit einem inoffiziellen Zweig der Spionageabwehr anzuvertrauen. Niemand hatte das verstehen können. Selbst Dominik, sein Sohn, hatte Max gestanden, daß ihm die Motivation seines Vaters unbegreiflich sei. Die meisten anderen sahen im Hex genau das Abstellgleis, das es in Wirklichkeit war, doch Zacharias wollte von derlei nichts wissen. Er glaubte an seine Mission. Ein Kreuzfahrer des zwanzigsten
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