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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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durchdringende Geräusch verstummte allmählich, und der Schmerz in seinen Augen nahm überhand. Mit einem Aufschrei riß er die Holzspäne unter den Lidern hervor und strich sich mit den Fingern über die Augen. Als er sie wieder aufschlug, lag ein roter Schleier über seinen Pupillen, aber das kümmerte ihn nicht. Die Erscheinungen waren verschwunden, der Himmel war wie leergefegt. Qualm stieg von einem halben Dutzend Stellen rund um die Stadt auf, dort waren die Kugeln zur Erde gestürzt.
    Benommen wie nach mehreren Bechern Meßwein, halb blind und gefangen im Wirrwarr der Eindrücke, stemmte sich der Priester auf die Füße, schwankte eine Weile und taumelte schließlich den Hügel hinab. In einiger Entfernung von ihm stand eine schwarze Rauchsäule über einem Waldstück. Dort wollte er hin; er mußte aus der Nähe sehen, was der Herr in seiner Güte den Menschen herabgesandt hatte.
    Schon nach wenigen Schritten stolperte er über ein Gewirr aus Flechten, stürzte schwer zu Boden und rollte den Hügel hinunter. Ein Findling beendete seinen Sturz; er prallte mit der Stirn dagegen und blieb benommen liegen.
    Wieviel Zeit verging, konnte er im nachhinein unmöglich sagen. Als er erwachte, stand die Sonne nur unmerklich höher, daher nahm er an, daß er nur kurz ohnmächtig gewesen war.
    Als er das Waldstück schließlich erreichte, stellte er fest, daß die Zeit ausgereicht hatte, um einen bewaffneten Trupp von Landsknechten aus Nürnbergs Garnisonen hierher zu entsenden. Die Soldaten verschwanden soeben im Unterholz. Aufgepeitscht vom Gebrüll ihres Hauptmanns, näherten sie sich dem Ursprung der Qualmsäule. Einige waren zurückgeblieben und hatten Mühe, die aufgebrachten Pferde ruhig zu halten. Die Tiere scheuten vor dem, was sich jenseits der Bäume befand.
    Beißender Rauch schlug dem Priester entgegen, als er unbemerkt von den Soldaten durchs Dickicht eilte. Die Sicht reichte kaum drei Schritte weit, so dicht waren die Schwaden. Bald schon loderte der Schmerz in seinen gereizten Augen von neuem auf.
    All das war ihm gleichgültig. Er wollte nur sehen, wollte die Wahrheit mit eigenen Augen schauen.
    Schreie ertönten jenseits der Wand aus Rauch und Unterholz. Zwischendurch war leises Wimmern zu vernehmen, das verzweifelte Weinen von Kindern. Wenig später schon erkannte der Priester den Ursprung. In der Mitte des Waldstückes befand sich ein kleiner Hof, Haupthaus und Scheune. Das, was vom Himmel gestürzt war, hatte das Dach des Hauses durchschlagen und das gesamte Anwesen in Brand gesetzt. Zwei kleine Kinder, ein Junge und ein Mädchen, irrten mit ausgestreckten Armen umher. Von den Eltern der Kleinen war keine Spur zu entdecken; sie mußten im Haus gewesen sein, als Gottes Faust das Dach zerschlug.
    Unweit der Scheune befand sich ein Hundezwinger aus Holz. Die Flammen hatten ihn verschont, und der Priester ging dahinter in Deckung. Er bemerkte, daß die Vorderseite der Hundehütte zersplittert war; der Wachhund mußte in seiner Panik ungeheure Kräfte entwickelt und die Kette aus der Verankerung gerissen haben. Das Tier war längst geflohen.
    Die Landsknechte traten mit gezogenen Waffen aus dem Rauch und näherten sich der Flammenhölle. Zwei von ihnen ergriffen die Kinder und nahmen sie auf die Arme. Der Priester aber hatte nur Augen für die Flammen und für das, was sie verbergen mochten. Er erwartete Engelserscheinungen, überirdische Stimmen und Gesichter, doch da war nichts dergleichen.
    Etwa zwanzig Landsknechte hatten sich jetzt um das Feuer versammelt, hustend und mit tränenden Augen, gebannt von dem, dessen Zeugen sie wurden. Der Hauptmann erschien, dann trat eine weitere Gestalt aus den Schwaden. Der Priester wollte seinen geschundenen Augen kaum trauen, denn der Neuankömmling war Geistlicher wie er. Obgleich er keine langen Gewänder trug, sondern Hose und Wams wie die Soldaten, hing an einer Kette um seinen Hals das Brustkreuz, die Pektorale. An seiner Hand entdeckte der Priester den Ring seines Standes. Und auch das Gesicht erkannte er. Es war der Bischof, dem er seit Jahren vertraute.
    Die Vorsicht aber bewahrte den Priester davor, kurzerhand sein Versteck zu verlassen. Es war eine Ahnung, ein vages Gefühl, bestärkt von der Tatsache, daß er immer noch halbblind war. Verschwommen sah er, wie der Hauptmann und der Bischof die Köpfe zusammensteckten und leise etwas miteinander beredeten. Schließlich gab der Hauptmann den beiden Landsknechten, die den Jungen und das Mädchen trugen, einen

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