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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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töten, Kinder, sogar ihresgleichen. Doch über das, was im Thronwagen des Herrn zur Erde gefahren war, hatten sie keine Macht. Niemand hatte das.
    Der Priester hoffte nicht für die Menschheit. Hoffte nicht einmal für sich selbst. Alles, was er wollte, war, es zu sehen. Nicht den Tod wollte er besiegen, nur die Zweifel, jene ganz tief unten, am Grunde seiner Seele.
    Etwas schlüpfte zwischen den Trümmern hervor. Plötzlich wurde die Dunkelheit von gleißendem Weiß erfüllt.
    Der Priester erinnerte sich: Es werde Licht!
    Er sah Bilder, vertraute Bilder, und ein Name brannte sich in seine Sinne.
    Ezechiel.

September 1920
    Die Straße schnitt durch das Moor wie ein Seil, das man von einer Ortschaft zur anderen gespannt hatte, schnurgerade, ohne jede Biegung, ohne Steigung, ohne Abhang. Es fiel leicht, in dieser Gegend das Gefühl für Zeit und Entfernung zu verlieren. Die Spätsommersonne schien warm und hell auf das Heidemeer herab und zauberte Schattenspiele auf die poröse Oberfläche der einsamen Felsspitzen, die sich kantig aus der Landschaft erhoben. Hier und da stach das Gerippe eines Baumes hervor, mit windgebeugten Ästen, die knorrig und schwarz nach Osten wiesen.
    Wie die anbrechende Nacht glitt ein Krähenschwarm über das flache Land, vertrieb das Sonnenlicht mit seinen Schwingen, flatternd und kreischend. Der Fahrer des einsamen Automobils, das knatternd in nördliche Richtung raste, sah zu, wie sich der Schwarm ausdehnte und zusammenzog, pulsierend wie ein finsteres Herz am Himmel über dem Moor.
    Eisenstein verfluchte nicht zum ersten Mal an diesem Tag den jämmerlichen Umstand, der ihm geboten hatte, die Reise ohne seinen Chauffeur anzutreten. Es war Monate her, seit er zum letzten Mal selbst am Steuer eines Automobils gesessen hatte, und das war auf den sicheren Straßen Berlins gewesen, nicht hier draußen, zig Kilometer vom nächsten Dorf entfernt. Und was für Dörfer das waren – alle endeten sie mit der Silbe »ow«. Strasow, Neussow, Bosedow. Wie, in Drei Teufels Namen, sollte man das überhaupt aussprechen? Wie ein betontes »o«? Oder »off«?
    Mit solcherlei Fragen vertrieb er sich die Zeit, und er gestand sich ein, daß es eine erbärmliche Beschäftigung war. In seinem Büro in Berlin erwartete ihn ein Schreibtisch voller Akten, so hoch, daß er seiner Sekretärin kaum mehr auf den entzückend hochgeschlitzten Rock blicken konnte, wenn sie zur Tür hereinkam. Als hätte er nichts Besseres zu tun, als ausgerechnet durch diese Einöde zu fahren, ohne Chauffeur, ohne einen Schimmer, was Kayssler überhaupt von ihm wollte. Er hatte die Stadt früh am Morgen verlassen, und nun war es bereits später Nachmittag, und noch immer waren weder das Haus noch der See zu sehen.
    Kayssler würde eine gute Erklärung parat haben müssen. Eisenstein war nicht irgendeiner dieser Lakaien, über die Kayssler in erstaunlichen Mengen verfügte. Er war Regierungsbeamter, einer der Beauftragten für Innere Angelegenheiten, und er war es nicht gewohnt, daß man ihn herbeizitierte, wann und wohin es einem beliebte. Sicher, Kayssler war ein großartiger Wissenschaftler – wenigstens hatten Eisensteins Informanten das erklärt –, und bis vor einigen Jahren hatte er in der Forscherwelt einen makellosen Ruf genossen. Dann aber hatte er mit Experimenten begonnen, die man ihm übelgenommen hatte. Wer Kayssler einmal in die Augen gesehen hatte, der ahnte, was in diesem Mann vor sich ging. Eine sonderbare Atmosphäre umgab den Wissenschaftler; ihn und seinen Trupp schweigsamer Assistenten, die ihm folgten wie eine Schar gedrillter Soldaten.
    Trotz allem hatten es gewisse Umstände notwendig gemacht, sich ausgerechnet an einen Mann wie Kayssler zu wenden. Umstände, die in den Akten unerwähnt blieben und von denen nur ein enger Kreis von Eingeweihten Kenntnis besaß; der Reichspräsident und sein Reichskanzler gehörten nicht dazu. Alles in allem mochten neben dem Wissenschaftler, seinen Assistenten und Eisenstein noch fünf andere Personen wissen, um was es wirklich ging, was tatsächlich in jenem abgelegenen Anwesen geschah, in dem Kayssler und seine Leute sich vor acht Monaten einquartiert hatten.
    Noch einmal beugte Eisenstein sich über das Steuer und blickte hinauf zum Himmel, wo die Krähen wild durcheinanderflatterten. Die Versammlung der Vögel beunruhigte ihn, obgleich er keinen Grund für seine Gefühle benennen konnte. Es waren nur Krähen. Federvieh.
    Eine halbe Stunde später entdeckte er in einigen

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