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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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gab es keine Anzeichen einer Explosion, nicht einmal Ruß.
    Einen Augenblick lang war Eisenstein versucht, auf seine Laufbahn zu pfeifen und sich aus dem Staub zu machen. Aber er hatte nicht all die Monate der Versuchung widerstanden, sein Wissen mit anderen zu teilen, um jetzt einfach aufzugeben. Er mußte herausfinden, was geschehen war. Alles weitere hing allein von seiner Courage ab. Selbst wenn ihm die Flucht glücken sollte, würde es Stunden dauern, ehe er entsprechende Schritte einleiten konnte. Bis dahin mochten alle Spuren beseitigt sein.
    In der Küche wurde er fündig. Wahrscheinlich einer der Assistenten; die Wissenschaftler hatten sich mit dem Kochen abgewechselt. Dem jungen Mann war es nur unmerklich besser ergangen als den Scheiben und Türflügeln. Seine Überreste klebten an Töpfen und Pfannen, ein scheußlicher Brei, der Wände, Schränke und Armaturen bedeckte.
    Eisenstein fuhr herum und übergab sich keuchend auf seine Schuhe. Nach einigen Augenblicken hatte er sich wieder in der Gewalt. Kraftlos schleppte er sich den Gang hinunter, den Revolver bebend im Anschlag. In zwei weiteren Zimmern waren die Wände ähnlich gemustert wie jene in der Küche. Schwer zu sagen, wie viele Männer es hier erwischt hatte.
    Die schwere Stahltür vor der Kellertreppe war eingedrückt und zerfetzt. Ein sternförmiges Loch klaffte in ihrer Mitte, die Ränder waren zur Treppe hin gebogen. Die Öffnung war gerade groß genug, daß ein Mann durchklettern konnte.
    Eisenstein war ehrgeizig, aber er war nicht verrückt. Ganz gleich, was von ihm erwartet wurde, er würde nicht dort hinunter gehen. Um keine Beförderung der Welt.
    Statt dessen drehte er sich um und rannte zur Hintertür. Je schneller er lief, desto größer wurde seine Angst, desto eindringlicher wurde das furchtbare Gefühl, daß etwas ihm folgte. Atem, der in seinen Nacken blies. Schritte, gleich hinter seinem Rücken. Doch als er die Tür erreichte und zurückschaute, war da nichts. Nur das unsichtbare Gespenst seiner Furcht.
    Er wollte hinaus auf die Terrasse treten, als sein Blick erneut auf den See fiel. Die Oberfläche schimmerte immer noch bemerkenswert hell. Zu hell. Und jetzt erkannte er auch, daß es keineswegs die Wellen waren, die derart glitzerten und blinkten. Es war etwas darunter. Ein riesiger Spiegel, rund oder oval, gleich unter der Oberfläche. Das Licht brach sich darin in tausend Facetten.
    Eisenstein erstarrte. Er wagte kaum zu atmen. Ganz allmählich sickerte die Konsequenz der Entdeckung in sein Hirn. Es waren nicht die Franzosen. Auch nicht die Engländer und Italiener. Dieser Spiegel, diese Scheibe dort unten im See, war etwas gänzlich anderes.
    Das Ufer war nur wenige Schritte vom Fuß der Treppe entfernt. Unmöglich, dort hinunter zu gehen. Nichts und niemand würde ihn dazu bewegen, sich diesem Ding zu nähern.
    Eisenstein wich zurück ins Haus. Er wußte, daß er von zwei Übeln möglicherweise das größere wählte. Aber die Entscheidung zwischen dem Schrecken, den er sehen konnte, und einem, den er nur vermutete – zumal unten im Keller –, fiel ihm nicht schwer. So schnell er konnte rannte er den Gang hinunter. Noch wenige Schritte, dann würde er die zerstörte Kellertür passieren.
    Er schloß die Augen und lief blind an der Tür vorüber. Die klaffende Wunde im Stahl blieb hinter ihm zurück. Stöhnend näherte er sich dem vorderen Teil des Hauses. Durch eine weitere zerstörte Tür konnte er bereits den Haupteingang erkennen.
    »Eisenstein!«
    Großer Gott! Jemand rief seinen Namen. Hinter ihm!
    »Eisenstein!« Noch einmal.
    Das war Kaysslers Stimme. Im Laufen drehte Eisenstein sich um, blickte zurück.
    Der Oberkörper und die wedelnden Arme des Professors ragten aus dem Loch in der Kellertür. Sein weißes Haar war blutverklebt, sein Gesicht von einem roten Film überzogen. Weiß und riesig starrten seine Augen Eisenstein an.
    »Helfen Sie mir!« keuchte er. Er schien an den Stahlzähnen der Öffnung festzuhängen.
    Eisenstein dachte nicht daran, umzukehren. Er hatte genug damit zu tun, sich selbst zu retten. Und war es nicht Kayssler gewesen, der ihn hierherbestellt hatte? Achtlos lief er weiter.
    Hinter ihm begann Kayssler zu kreischen.
    Eisenstein rannte auf das Ende des Korridors zu. Dort lag die Eingangshalle. Und der Ausgang.
    Das Schreien des Professors schraubte sich zu einem irren Crescendo empor, immer heller, immer panischer. Dann brach es auf einen Schlag ab. Etwas prasselte auf den Boden und gegen die

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