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Hex

Titel: Hex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Stimme: »Sie können nicht ernsthaft annehmen, daß ich Max ermuntern werde, sich in diese Dinge einzumischen.«
    »Ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht, er steckt schon mittendrin. Viel tiefer als die meisten anderen.«
    Die Furcht war jetzt wie ein Dolch aus Eis, der sich in ihr Herz bohrte. »Ist er in Gefahr?«
    Der Leierkastenmann setzte zu einer Entgegnung an, als er plötzlich aufhorchte. Hinter der nächsten Wegbiegung erklangen eilige Schritte. Jemand näherte sich rasch.
    »Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe!« zischte er Larissa zu, dann tauchte er zwischen den Büschen unter.
    Larissa lief auf die Sträucher zu, aber als sie dahinterblickte, war der Mann verschwunden. Sie sah noch einen Schemen, der in einiger Entfernung davonhuschte, dann war sie allein.
    Plötzlich stand Evelina neben ihr, aufgeregt und außer Atem. »Vater schickt mich«, erklärte sie. »Wir haben auf dich gewartet, vorne am Tor. Aber du bist nicht gekommen.«
    Larissa ließ den Holzschnitt blitzschnell in ihrer Manteltasche verschwinden und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. »Jetzt hast du mich ja wiedergefunden.«
    Evelina wurde schlagartig klar, daß sie ihrer alten Intimfeindin gegenüberstand. Sie straffte ihren Oberkörper und bemühte sich, ihren schnellen Atem unter Kontrolle zu bringen. Das aber führte dazu, daß sie nur noch abgehackter sprach. »Kommst du nun mit? Wir fahren dich. Nach Hause. Wenn du willst.«
    Larissa blickte noch einmal dorthin, wo der Leierkastenmann sich wie ein Gespenst in Luft aufgelöst hatte. Dann nickte sie.
    »Gerne«, entgegnete sie leise. Mit schnellen Schritten machte sie sich auf zum Tor, ohne abzuwarten, ob Evelina mithalten konnte.

Kapitel 5
    Über dem Krater ging die Sonne auf. Am gegenüberliegenden Rand, in vielen Kilometern Entfernung, brachen sich die Strahlen auf der Eiskante und streuten Lichtspeere in alle Richtungen. Davor aber war das Land schwarz und ausgeglüht, und erst allmählich bildeten sich in Spalten und Vertiefungen neue Eiswehen. Es mochten noch Jahre vergehen, ehe die Natur die Wunde, die die Explosion in ihren Leib gerissen hatte, wieder zu schließen vermochte.
    Sie hatten das Schlittengespann und seinen schweigsamen Inuit-Führer am Rande des Eises zurücklassen müssen und waren die restliche Strecke zu Fuß gegangen. Für die zwei Kilometer bis zum Zentrum des Kraters hatten sie drei Stunden gebraucht. Der Boden war zerklüftet und durchzogen von einem Netz schwarzer Risse. Haushohe Felsbrocken versperrten ihnen immer wieder die kürzeste Strecke und zwangen sie, weitläufige Umwege einzuschlagen. Das Gestein war uneben und übersät mit scharfen Kanten, die das Gehen zur Qual machten. Und zu allem Übel fauchte ein Polarwind über die Einöde, der wie Glasklingen durch ihre Fell- und Steppkleidung schnitt, ganz gleich, wie fest sie sich vermummten.
    Max und Sina gingen voran und stemmten sich gegen die eisigen Böen. Legrand folgte ihnen mit einigem Abstand, das Gesicht unter seiner Kapuze zur Grimasse verzerrt. Er kämpfte nicht nur gegen das rauhe Gelände und die Kälte, sondern auch gegen den Schmerz in seinem Arm. Sina hatte ihm angeboten, die Wunde zu versorgen, aber das hatte er abgelehnt. Er könne sich selbst darum kümmern, hatte er gebrummt und kein Wort mehr über die Verletzung verloren. Und doch war ihm anzusehen, wie sehr er litt. Sina nahm an, daß die Wunde sich entzündet hatte. Nichts, das man leichtnehmen sollte, aber es lag ihr nicht, sich ihm aufzudrängen. Sollte er selbst sehen, wie er damit fertig wurde.
    Der Fels unter ihren Füßen wurde immer schwärzer, je näher sie dem Mittelpunkt des Kraters kamen. Er lag nicht viel tiefer als seine Ränder, was dafür sprach, daß die Explosion in der Luft, nicht am Boden stattgefunden hatte. Die Hitze und Wucht der freigewordenen Energie hatte sich kreisförmig in alle Richtungen ausgebreitet, nicht steil nach unten. Darum war zwar das Eis geschmolzen, der Fels darunter jedoch kaum in Mitleidenschaft gezogen worden.
    Verwunderlich war auch, daß die Kraterränder klar umrissen waren. Das Eis war während ihres Weges hierher nicht ganz allmählich dünner geworden, wie sie erwartet hatten, sondern scharfkantig abgebrochen, als hätte die Hitze der Explosion eine gewisse Grenze nicht überschreiten können.
    Im Mittelpunkt des Einschlaggebietes lagen die Überreste des Luftschiffs weitverstreut zwischen den Felsen, wie verkohlte Knochen, die ein riesenhafter Aasfresser abgenagt und

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