Hexen in der Stadt
würde zu groß.
Aber auch wenn es gut ginge, eine solche Narbe wäre nicht besser.«
»Nur vielleicht nicht so gefährlich.«
»Gefährlich ist das überhaupt nicht«, widersprach Veronika ärgerlich, »ein Spiel der Natur wie viele andere, eine krumme Nase oder ein Schielauge meinetwegen. So was ist doch noch schlimmer, weil jeder es sieht. Das hier muß nur geheimgehalten werden wegen der Dummheit der Leute. Sonst ist nichts dabei.«
»Und – Ihr könnt auch nichts tun, Mutter?«
»Ich? – Wie meinst du das, Kind?« Vor dem unschuldig fragenden Blick der Mutter wurde Jakobe rot, wandte sich ab, hielt das Schweigen schließlich nicht mehr aus und stieß hervor: »Aber wie soll man das geheimhalten, immer? Einmal muß es doch entdeckt werden.«
»Warum denn? Es gibt Leute, die so ein Mal haben und es versteckt halten, ihr ganzes Leben lang, und niemand erfährt je davon.«
»Kennst du so jemanden?«
»Zu deinem Vater kommen allerhand Leute, ich sehe und höre so manches.«
Veronika stand auf, setzte die beiden Kleinen in die Wanne, wusch sie, trocknete sie ab, streifte ihnen die Nachtröckchen über und trug sie in ihr Bett nebenan. Nachdem sie das Nachtgebet über sie gesprochen hatte, trat sie leise zur Tochter, um Lebewohl zu sagen. »Du mußt jetzt auch schlafen, Jakobe!«
Aber dazu war die junge Frau noch gar nicht aufgelegt. Sie schmeichelte und schmollte. War jetzt nicht der rechte Augenblick, die Mutter auszufragen nach den Geheimnissen, die sie hütete, nach ihrer Abkunft, die vornehm sein seilte, nach ihren wunderbaren Kräften, die Jakobe ahnte? Veronika wich aus, wehrte lächelnd ab. Da gebe es gar keine Geheimnisse.
In ihren freundlichen Streit platzte eine aufgeregte Magd, von der alten Sterin geschickt. Die Frau Doktor möchte hinunterkommen in den Saal, ihres Mannes wegen. Veronika erschrak. Sebastians Gesicht vor dem Kirchgang! Er hatte etwas vorgehabt. So eilig sie konnte, ohne überstürzt zu erscheinen, stieg sie die Treppe hinunter.
Im Flur fauchte ihr die Sterin grimmig entgegen: »Doktorin, bring Sie Ihren Mann heim, der ist ja besoffen!« So unfein drückte sich die Ratsherrnfrau sonst nicht aus. Es konnte auch nicht die Wahrheit sein.
»Das hat an meinem Mann wohl noch keiner erlebt«, erwiderte Veronika, nicht ohne Anzüglichkeit. Der alte Stere becherte gern. Sie trat durch die Saaltür.
Da saßen die Männer mit roten Köpfen um den blankschimmernden Eichentisch, auf dem Krüge, Karaffen und Gläser eine deutliche Sprache redeten. Wenn einer zuviel getrunken hatte, so war es ganz gewiß nicht der Arzt, der gelassen im Sessel lehnte, ein Bein übergeschlagen, die Hand mit belehrender Geste erhoben. Alle blickten auf ihn. Auch die Frauen, die in Grüppchen herumsaßen, reckten die Hälse.
»Was fällt Euch ein, Doktor«, rief einer aufgebracht, »auf die traurigen Umstände noch besonders hinzuweisen, die unsere Gesellschaft heute so manchen Freundes berauben? Das Unglück unserer Stadt ist groß genug. Müßt Ihr auch noch überflüssigerweise davon reden?«
»Gerade das will ich tun«, sagte Sebastian nicht laut, aber schneidend klar, »darüber reden. Ich frage noch einmal: Wo ist der Ratsherr Baunach, der Bürgermeister Glaser, der Ratsvogt? Sie sitzen daheim und betrauern ihre Weiber und Töchter, die als Hexen verbrannt wurden, sofern sie nicht selbst schon gefangenliegen. Wie lange wollt Ihr dem noch zusehen? In einem halben oder ganzen Jahr ist vielleicht jeder hier im Saale mitbetroffen, wenn überhaupt noch einer von uns lebt. Wozu nennt Ihr Euch Ratsherren dieser Stadt, wenn Ihr einem so großen, allgemeinen Unglück tatenlos zuseht?«
»Was vermögen denn wir wider des Bischofs Gericht?«
»Das kam’ auf eine Probe an. Ein entschlossener Einspruch von Amts wegen…«
»Nützte vielleicht. Vielleicht! Und wenn nicht?« schnaufte der alte Stere. »Dann sind wir alle verloren. Denkt an die fünf Bürgermeister zu Bamberg oder an den bischöflichen Rat Flade zu Trier!«
Ein Schweigen folgte. Keiner wagte den andern anzublicken.
Dann brachte einer vor: »Wer ohne Schuld ist, der hat doch nichts zu fürchten.«
»Und wer ist ohne Schuld?«
Diesmal schien das Schweigen nicht enden zu wollen. »Darüber befindet das Malefizgericht«, sagte endlich der junge Stere. Es klang bitter.
»Aber es muß doch eine Grenze geben«, raffte sich ein anderer auf. »Ehrbare Bürger, denen niemand etwas Böses nachsagen kann, sollten sich auf ihr gutes Gewissen verlassen
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