Hexen in der Stadt
Mutter.«
Sebastian fuhr zurück. »Und was tut Ihr dagegen?«
»Was sollte ich tun? Besagung ist Besagung. Ich wäre ein schlechter Richter, wollte ich Ausnahmen machen. Auch liegt ihre Schuld ja klar vor Augen.«
»Warum habt Ihr dann noch mich rufen lassen?«
»Ich wollte Eure Meinung hören, nur über ihre Krankheit, sonst über nichts. Es hätte doch sein können, daß Ihr sie heilen könntet. Aber Ihr habt mir ja recht gegeben.«
»Nein, das hab’ ich nicht! Ganz und gar nicht! Aber vielleicht habt Ihr Eure Mutter schon gewarnt und in Sicherheit gebracht«, setzte er mit schwacher Hoffnung hinzu.
»Was traut Ihr mir zu!« erwiderte Dürr mit einer Ruhe, die den Arzt entsetzte. »Wie stände ich denn da vor meinem fürstlichen Herrn und vor meinem eigenen Gewissen? Außerdem ist sie ja schuldig, des vierfachen Mordes, so bitter das zu sagen ist für mich, ihren Sohn.«
Sebastian schauderte. Er eilte fortzukommen. Die Arzneien werde er durch den Apotheker schicken lassen, sagte er, lehnte die Bezahlung ab und riet dem Richter unter der Tür noch, die Kranke nichts von alledem wissen zu lassen. »Verschönt ihr die kurze Zeit, die sie noch zu leben hat! Schenkt ihr Heiterkeit!« Ob dieser Mann das vermochte? Wie gejagt eilte er die breite Treppe hinunter.
Als er aus der Tür trat, sah er die Dürrin die Gasse herunter kommen, eine kleine, alte Frau am Stock, Schuhe und Mantelsaum beschmutzt vom roten Lehm der Landstraße. Sie stutzte, als sie den Arzt erkannte und keifte los: »Was tut Ihr hier? So war das abgekartet! Mich schickt man drei Tage auf Wallfahrt, damit die gelehrten Pfuscher hier freie Hand haben. Wartet nur! Wenn der Madien etwas zustößt, bekommt Ihr es mit meinem Sohn zu tun, der ist Hexenrichter, vergeßt das nicht!« Schon erschienen an den Fenstern in der Nachbarschaft neugierige Gesichter.
Sebastian blickte die Alte voll Mitleid an. Sollte er sie warnen? Aber ihm würde sie nicht glauben. Sie ahnte ja nicht einmal, was der eigene Sohn ihr zutraute. Wie sollte sie begreifen, daß sie nichts so sehr zu fürchten hatte wie seine vielbewunderte Gerechtigkeit! Sebastian verneigte sich stumm, mit jener Art von Ehrerbietung, die er manchmal an Sterbebetten empfand. Sie galt weniger dem Sterbenden als dem größeren Herrn, dem der Arzt weichen muß. Die Alte starrte ihn dumm an, ärgerte sich und drängte sich in die Haustür. Sebastian hörte ihren Stock durch den Flur stampfen, während sie laut nach ihrem Sohn und den Mägden schrie. Eine Antwort hörte er nicht. Es war, als käme sie in ein leeres Haus.
Er hatte geglaubt, das Grauen verlernt zu haben in den Pestjahren. Nun aber packte es ihn wie nie seitdem. Er lief fort aus der Nähe dieses unseligen Hauses, in dem sich Tod und Teufel um die Herrschaft stritten.
Veronika blickte erwartungsvoll von der Näharbeit auf, als er in die Stube trat. »Nun?«
Er setzte sich schwer atmend und schüttelte den Kopf. »Da ist keine Rettung. Die junge Dürrin stirbt, und die alte läßt der eigene Sohn dafür als Hexe richten. Was ich auch sagte, nahm er nur als Beweis für seinen Aberglauben. Da ist jeder Rat verloren. Diesen Menschen ist nicht zu helfen. Der Wahnsinn muß ausbrennen.«
Aus der Chronik des Malefizschreibers:
Es ist nicht auszudenken und war von keinem vermutet, wie weit ausgebreitet das greuliche Laster in dieser Stadt ist. Sogar Frauen von Stande, vornehme heut, um ihrer Frömmigkeit willen gerühmt, auch Männer und selbst geistliche Herren werden als Teufelsgenossen erkannt. So sind in den viereinhalb Monaten allhier in zwölf Bränden dreiundsechzig Personen mit dem Schwert gerichtet und hernach verbrannt worden, darunter neben mancherlei armem und übelberufenem Volk als namentlich folgende:
Die Hehlerin, ein Ratspersonsweib,
Die Gutbrodtin,
Die Stierin, eine Prokuratorin,
Eine Bürgermeisterin, welch Mann noch im Gefängnis liegt,
Die Burkhardin, des Fürsten Leibsyndici Weib,
Die Baunachin und darauf auch
ihr Mann, der Ratsherr Baunach, der dickste Bürger der Stadt,
Des Domprobst Vogt samt seiner Frau, so vornehme Leut,
Der Ratsvogt Gering,
Zwei reiche Krämer, der Hans Lutz und der Rutscher,
Junker Stenbocks Vögtin,
Frau Kanzlerin von Eichstätt, ein dicke, feiste Frau, deren
Tochter, so noch ledig, auch gefangen liegt, ein schönes
Mensch,
Junker Mengersdörffers Vögtin, so gangen ist wie eine vom
Adel, ist auch ein jung, schön Mensch gewesen.
Ein jung Mägdlein von zwölf
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