Hexen in der Stadt
Mutter ihm zu, er solle den Abschied nehmen, heimkehren, heiraten und die Verwaltung der Güter übernehmen. Die werde ihr zu beschwerlich, zumal bei den Kriegsabgaben und auch sonst unerfreulichen Zeitläuften. Nichts gedieh mehr. Drei Sommer lang hatten die Hexen mit ihrem Wetterzauber Korn und Wein verdorben, als sei es an Pestilenz und Viehsterben nicht genug. Sie sehnte sich danach, die Last der Geschäfte in jüngere Hände zu geben.
»Was habt ihr hier nur mit den Hexen?« fragte der Franz neugierig. Beim Eintritt ins Stadttor war ihnen ein häßlicher Zug begegnet, ein Karren, beladen mit Jammergestalten, im Gefolge von Amtspersonen, Henker und Stadtknechten. »Gibt’s denn hier so viel mehr davon als anderswo?«
Die Mutter winkte mutlos mit der Hand. Da sei kein Ende abzusehen. Das sei das Schlimmste trotz Hungersnot und Kriegsgefahr. Fürstliche Gnaden würden trotz größter Strenge des Unwesens nicht Herr. »Dabei scheinen ihrer immer nur mehr statt weniger zu werden. Es geht in die Hundert, die schon gerichtet sind, und heißt, daß neuerdings auch geistliche Herren und sogar der Adel nicht verschont bleiben. Man weiß kaum, mit was Leuten man umgehen und noch konversieren soll. Auch deine Babelin von damals soll schon besagt worden sein. Da siehst du, wie recht Vater hatte, dich zu warnen!«
Der Franz antwortete nicht. Er hatte das Mädchen fast vergessen gehabt, über das er sich damals mit dem Vater entzweit hatte. Jetzt erst war ihm ihr Name wieder eingefallen. Er berührte ihn wider Erwarten schmerzlich. Ob sie wirklich eine Hexe war? Dann mußte sie sich sehr verändert haben, oder jedes hübsche Mädchen konnte eine sein – jedenfalls in dieser Stadt. Schlechte Aussichten für das Vergnügen der Kameraden!
Mutter und Sohn beendeten ihr Gespräch, es wurde zur Tafel gebeten. Die Mahlzeit verlief fröhlich und gesittet, denn die Gäste wußten es zu schätzen, nach dem rauhen Lagerleben wieder einmal an einem gedeckten Tisch von edlem Tafelgerät zu speisen und sich in Gegenwart einer vornehmen Hausfrau als das zu fühlen, was sie von Haus waren – oder gern sein wollten: Herren von edler Abkunft. Einzig der Catalani, der freche Italiener, hegte angesichts des vielen Silbers auf dem Tisch unziemliche Gedanken. Als er gar zu deutlich seinen eben geleerten Becher in der Hand wog und von allen Seiten besah, stieß ihn sein Nachbar unter dem Tisch an. Grinsend stellte er den Becher zurück, aber sein Blick über die Tafel verriet: Hier möchte ich noch einmal herkommen, nicht als Gast!
Bald ließ die Frau des Hauses die Herren beim Trunk allein. Da stahl sich auch der Franz hinaus, warf den Mantel über und schlich durch Nebengassen und zwischen Gartenhecken hin den wohlbekannten Weg zum Hause des Schreinermeisters Göbel, dessen einzige Tochter die Babelin war. Es lockte ihn nur, redete er sich ein, zu sehen, ob sie sich wirklich so sehr verändert habe, oder was anders werde an einem Mädchen, das sich mit dem Teufel einlasse – Neugier, nichts sonst. Er kannte den schmalen Steig durch den Krautgarten und zwischen den Holzstapeln im Hof zur Küchentür, die in der feuchten Frühsommernacht offenstand.
Drinnen brannte ein trübes Licht. Das Schwirren eines Spinnrads war zu hören und leise Stimmen, dann der Klang einer Laute. Eine Jünglingsstimme begann zu singen, kunstlos, ein wenig rauh. Aber der Anschlag der Saiten verriet Kraft und Meisterschaft. Die Stimme sang:
»Was heut noch grün und frisch dasteht,
Wird morgen weggemäht,
Die edle Narzissel,
Der himmlische Schlüssel,
Die schön Hyazinth,
Die Türkische Bind.
Hut dich, schön’s Blümelein!«
Eine Mädchenstimme, die der Lauscher kannte, lachte leise und rief: »Sing doch nicht immer vom Tod, Hans! Fällt dir denn gar nichts Schöneres ein?«
»Tut mir leid, Babelin«, erwiderte die Stimme des Sängers, »aber was sonst soll man singen in dieser Stadt! Mich läßt das Lied nicht mehr los, seit ich’s gehört hab’. Ich hab’ sogar eine neue Begleitung dazu gemacht, aber das hast du gar nicht gehört. Ist auch nicht wichtig. Du solltest aus einem andern Grund auf dies Lied hören, Babelin!«
»Ach, Unsinn! Ich hatt’ nichts zu fürchten.«
»Wenn du mir doch glaubtest! Noch ist Zeit. Ich würde mit dir gehen, wohin du nur willst.«
»Wenn ich das täte, würden alle von mir das Schlimmste glauben. Nie wieder könnt’ ich heim. Und was für ein Paar wären wir! Ein davongelaufener Student und ein Mädchen
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