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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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hörte man das Babelein lachen und sah zum erstenmal einen Freudenschimmer auf dem spitzen Gesichtlein. Gern ging es mit, gestand auch willig und übereifrig, was es gefragt wurde, und gab ungefragt eine Menge Mitschuldige an, voran seine Eltern, danach fast alle, die es kannte und denen es genauso übelwollte wie sie ihm.
    Als es endlich den ersehnten Hexentod starb, konnte es mit sich zufrieden sein. Acht andere hatte es mitgezogen, darunter die Eltern, die bis zuletzt ihr schlimmes Kind verfluchten und nicht begriffen, woher ihm solche Bosheit kam.
    Eine Siebenjährige bekannte, sie habe nicht nur mit dem Teufel gebuhlt, sondern sogar ein Kind geboren, das Hörner und Klauen gehabt und sogleich in den Wald entlaufen wäre. Größere Buben wollten sich mit Hilfe einer schwarzen Salbe in Wölfe verwandelt und viele Lämmer und Kälber gerissen haben, obgleich von einer größeren Wolfsplage in der Umgegend seit langem nichts bekannt war. Alle aber, groß und klein, Buben wie Mädchen, waren in jeder Samstagsnacht auf Besen und Gabeln, Katzen und Böcken zum Schornstein ausgefahren zum höllischen Sabbat, während die Eltern vermeinten, ihre Leiber friedlich in ihren Betten schlafen zu sehen. So liefen die Kinder in panischer Angst vor dem Teufel dem Tod in die offenen Arme oder auch besessen von einem Zwang, mitzutun bei dem gräßlichen Spiel, obgleich die meisten von ihnen wußten, was am Ende stand. Ja, sie überteufelten noch das Beispiel der Großen. Wenn sie es darauf angelegt hätten, durch übertriebene Selbstanklagen den Wahnsinn der Prozesse darzutun, sie hätten es nicht listiger anfangen können. Aber es war ihnen blutiger Ernst. Von all den Hunderten von Gerichteten waren die meisten von ihnen wohl die einzigen, die sich selbst für schuldig hielten.
    Den Richtern aber lieferte das alles nur die willkommene Bestätigung auch des haarsträubendsten Widersinns. Sie wunderten sich über nichts und glaubten alles, auch die hundert Gemordeten des kleinen Valentin. Höchstens wuchs noch ihr ehrfürchtiges Grausen über die Macht des Teufels in so schwachen Geschöpfen. Sie nahmen Protokolle auf, sprachen das Urteil und brachen den Stab über Kinder unter zehn Jahren, in den ersten zwanzig Monaten der Prozesse allein fünfundzwanzig an der Zahl. Was galt das Zeugnis der Eltern! Sie waren eben teuflischem Blendwerk verfallen und konnten froh sein, wenn sie nicht selbst zur Verantwortung gezogen wurden.
    Noch fünfzig Jahre zuvor hatten die Experten der Hexenverfolgung in ihren Büchern gelehrt, daß zwar auch Kinder dem teuflischen Laster verfallen könnten, doch sei empfohlen, unter vierzehn Jahren die Folter nicht anzuwenden und keines unter sechzehn hinzurichten, vielmehr Besserung durch christliche Belehrung anzustreben. Aber selbst dies Mindestmaß an Menschlichkeit schien hier zuviel. Die ganze Stadt, das Land, wenn nicht die Christenheit überhaupt war in Gefahr, vom Teufel überwältigt zu werden. Da durfte man nicht zögern, mit Härte durchzugreifen – ohne Ansehen der Person.
     
     
    Im Stift zum Neuen Münster lebte ein uralter Chorherr, gebrechlich, halb erblindet, aber noch klaren, rührigen Geistes. Mit dem ging es bergab, seit ihn der Doktor Reutter nicht mehr besuchte, und nicht nur, weil der gute Arzt ihm fehlte. Mehr noch entbehrte er die Gespräche mit dem klugen und aufrechten Mann. Sie hatten ihn an seine Jugend erinnert, als er selbst den Wissenschaften zugeneigt gewesen war und von neuen Einsichten in die Naturgesetze das Heil der Welt erwartet hatte. Mit diesen Ausflügen des Geistes in eine freiere Luft war es nun vorbei, nachdem der Doktor so plötzlich und geheimnisvoll aus der Stadt verschwunden war. Der Uralte verschloß sich eigensinnig gegen seine Umgebung, verließ nicht mehr das Haus, oft nicht einmal das Bett und verfiel sichtbar den Winter über. Aber in der Frühe eines noch kalten Frühlingsmorgens wurde er gleichsam wieder wach.
    Er hörte unter seinen Fenstern einen Karren vorbeipoltern, begleitet von den Schritten vieler Männer. Diese Geräusche kannte er und wußte nur zu gut, was sie bedeuteten. Denn gerade durch diese Gasse führte der althergebrachte Weg zur Richtstatt. Diesmal aber war noch ein anderer Laut dabei, ein ungewohnter, der ihn beunruhigte. »Warum weinen da Kinder?« fragte er seinen Diener. »Was tun die dabei?« Der Diener schaute aus dem Fenster und berichtete, es seien drei Kinder mit auf dem Karren, ob Buben oder Mädchen, das sei nicht zu

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