Hexen: Vier historische Romane (German Edition)
vor Nervosität knödeliger Stimme an all seine gestrigen Anordnungen erinnerte. „Und während du dich dann im Atelier aufhältst“, sagte er jetzt, „spaziere ich unauffällig über die Allee auf und ab.“
„Si, Zio Alfonso, damit ich dich herbeiholen kann, falls der Maestro es gestattet. Aber schau“, sagte er, nachdem sie die Platanenallee überquert hatten, „da vorne steht die Bottega, dieser mächtige weiße Palazzo.“
„Oha!“, brachte Alphonse nur heraus und dann keinen Ton mehr. So angespannt hatte Lukas ihn noch nie erlebt.
Schließlich hatten sie den Palazzo erreicht, und Alphonse bedeutete Lukas mit einer Handbewegung, sich zum Seiteneingang zu begeben. Lukas setzte gerade dazu an, als ihnen vom Haupteingang her die Stufen herab in gelb-roter Künstlertracht ein Signor entgegen trat, in dem Lukas auf Anhieb Carlos Maestro erkannte - stattlich, vibrierend vor Schaffensdrang und magisch schön wie seine Gemälde. „Benvenuto, Signori!“, begrüßte er sie mit angehobenen Armen. „Ich bin Leonardo da Vinci, der Hausherr. Grazie, dass Ihr meiner Einladung gefolgt seid.“
Sie grüßten zurück, stellten sich vor, und da Alphonse außerstande war, mehr über die Lippen zu bringen, erklärte Lukas an seiner Stelle: „Mein Onkel würde ebenfalls gerne einen Blick in Euer Atelier werfen.“
Zu ihrer Überraschung erwiderte der Maestro: „Das hättet Ihr mir nicht sagen brauchen, junger Signore, Ihr seid beide Kunstexperten, als ob ich das nicht sehe. Prego, tretet näher.“
Nun hatte sich Alphonse auf so vieles so gründlich vorbereitet, nicht aber auf diesen unkomplizierten Empfang vom Hausherrn persönlich, und während sie sich durch den Vordergarten dem Eingang näherten, entdeckte Lukas, dass Alphonse über sich selbst lächeln musste. Der Maestro führte sie ins Haus und dort ein paar Schritte über den Korridor, wo er ihnen dann auf der linken Seite die Tür zu dem hellen, weiträumigen Malatelier öffnete: „Prego, Signori.“
Erst jetzt bekam Alphonse wieder seine Lippen auseinander, um sich für den Einlass zu bedanken, worauf der Maestro liebenswürdig einging: „Gern geschehen. Und nehmt Euch Zeit für Eure Betrachtungen, ich lass Euch dazu alleine. Allerdings würdet Ihr mir eine Freude erweisen, wenn Ihr anschließend in meinem Privatatelier ein Glas Wein mit mir nehmt.“
„Grazie, das wird auch uns eine Freude sein“, stimmte Alphonse zu, worauf sich der Maestro zurückzog.
Wie gestern betätigten sich die beiden Künstler direkt neben der Tür zum Korridor wieder an dem riesigen Gemälde, und zwei weitere Künstler saßen an ihren Staffeleien. Jeder blickte kurz zu den Besuchern hin und begrüßte sie mit einem Kopfnicken. Alphonse und Lukas grüßten auf die gleiche Weise zurück, worauf sich die Artisti wieder auf ihre Arbeit konzentrierten und die Besucher sich so geräuschlos wie möglich bewegten.
Lukas war glücklich, wieder hier zu sein. Ihm war, als atme man in diesem Atelier höhere Kunst ein, als trinke man sie, nehme sie mit allen Sinnen wahr, und Alphonse erging es ähnlich. Beide betrachteten die Gemälde für sich alleine, wobei Lukas die Werke des Maestros heute mied, um klar bei Sinnen zu bleiben. Alphonse dagegen konnte sich ihrer Faszination nicht entziehen, er verlor sich in da Vincis Gemälden.
Nach einer geraumen Weile trat Carlo zu ihnen und fragte sie leise, ob sie bereit seien, nun den Maestro zu beehren. Sie waren gerne bereit, wenngleich Alphonse reichlich abwesend wirkte.
Carlo geleitete sie durch die Hintertür, von da quer über den Korridor und schließlich in Maestro da Vincis Privatatelier. Darin standen mehrere Zeichentische voller Entwürfe, auf die Lukas gerne einen längeren Blick geworfen hätte, doch Carlo führte sie daran vorbei bis zum Ende des weitflächigen Raumes, wo sich mit sechs moosgrünen Sesseln und Palisandermöbeln eine geschmackvolle Plauschecke befand, und auf dem flachen Tisch waren bereits eine Wein-, eine Wasserkaraffe und drei Gläser serviert.
„Ich hole den Maestro“, sagte Carlo und verschwand durch die Terrassentür hinab in den Hofgarten.
Wenige Minuten später erschien in seiner leuchtend gelb-roten Künstlerkleidung Maestro da Vinci, kam mit kraftvollem Schritt - alles an ihm war kraftvoll - näher und bat seine Gäste, Platz zu nehmen. Nachdem er Wein eingeschenkt hatte, den dann jeder, diesmal auch Alphonse, mit etwas Wasser auffrischte, erkundigte er sich, ob sie sich länger in der Stadt aufhalten werden
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