Hexen: Vier historische Romane (German Edition)
Erschüttert das dein braves Weltbild?“
Lukas schwankte der Boden unter den Füßen. Er hatte sich ja in Tirol auf vieles für seine hiesige Rolle vorbereitet, aber Homosexualität war darin nicht vorgekommen. Plötzlich von Zorn gepackt, ruckte er seinen Kopf in die Richtung des Jünglings und funkelte ihn warnend aus seinen gelben Augen an. Der senkte darauf erschreckt die Lider. Und gleich drauf erkannte Lukas aus dem Augenwinkel, dass er sich zurückzog.
„Jetzt hast du ihn verscheucht“, tat Alphonse vorwurfsvoll, und als er Lukas’ noch immer wütenden Ausdruck bemerkte, setzte er hinzu: „Mit deiner roten Mähne und diesem wilden Blick hat er dich für eine Raubkatze gehalten.“
„Hoffentlich doch!“, ging Lukas scherzend darauf ein.
„Im Ernst, Lukas, Respekt vor deinem Auftritt eben, damit kannst du selbst einem gestandenen Mann Gänsehaut einjagen.“
Diese Anerkennung aus Alphonses Mund stärkte Lukas’ Rückrat, wodurch er sich auf ihrem anschließenden Weg zum Gasthof nicht nur drei, sondern fünf Querfinger größer vorkam als sein Begleiter.
‚J etzt bin ich dir kein so lästiger Reiter mehr, wie? Und das wird auch künftig so bleiben’, verhieß Lukas seinem behäbigen Grauschimmel Oskar, wobei er ihm den Hals tätschelte.
Da Alphonse den heutigen Vormittag wieder bei seiner Donna Angelina verbrachte, probierte Lukas nun, ob er wieder beschwerdefrei reiten könne. Ja, konnte er. Unwillkürlich schlug er die Richtung zum Dom ein.
Dort angelangt, stieg er aus dem Sattel und band Oskar an einem Stellplatz fest. Dann schritt er vor zum Hauptportal, und da dessen beide Flügel weit aufstanden, trat er ein. Drinnen empfing ihn sogleich jene andächtige Ruhe, die jedes Gotteshaus erfüllt, doch als er tiefer hineingelangte, vernichteten Männerstimmen die Stille. Beim Nähertreten erkannte er mehrere Bauleute, die prüfend einige Säulen abklopften, mit Messlatten hantierten und sich Notizen machten. Kein geeigneter Zeitpunkt für eine Besichtigung, musste sich Lukas sagen, weshalb er das Gebäude wieder verließ.
Am Rand des Domplatzes ließ er sich auf eine Mauer nieder und genoss den Anblick des von der Morgensonne beleuchteten Bauwerks.
Plötzlich wurde er angesprochen: „Buon giorno, Don! Verzeiht, dass ich das Wort an Euch richte.“
Nicht weit von ihm stand der hübsche Homosexuelle von gestern, und da er so schüchtern wirkte, erwiderte Lukas seinen Gruß.
Darauf erklärte ihm der Jüngling in seiner süßlichen Sprechweise: „Ich habe Euch eben im Dom bemerkt. Ihr hättet ihn nicht verlassen müssen, die Signori darin sind Architekten, sie würden sich an Euch nicht stören. Geht also getrost wieder hinein.“
„No, lieber ein andermal. Wie lang haben die Architekten denn noch zu tun darin?“
„Heute wahrscheinlich bis zum Mittag, ich weiß das, weil mein Herr auch zu ihnen zählt. Er ist von den vier Architekten darin der größte Könner, weshalb wohl er den Bauauftrag erhält.“
„Welchen Bauauftrag denn?“, forschte Lukas, worauf sich der Hübsche einen Schritt näher zu ihm wagte, aber dennoch einen gebührenden Abstand einhielt, als er antwortete:
„Das könnt Ihr ja nicht wissen, Don, Ihr seid nicht von hier - aus Tirol? Hört man an Eurem Akzent. Si, Maestro Bramante befürchtet, die Domkuppel könne einstürzen, weshalb sie baldigst von einer stabileren ersetzt werden soll.“
„Dein Herr ist der berühmte Donato Bramante?“
„No, oh, no, Don“, widersprach der Jüngling, wobei er einen weiteren Schritt näher trat. „Mein Maestro ist bedeutend jünger als er, höchstens dreißig. Trotzdem ist er ein begnadeter Baumeister.“
Lukas amüsierte seine Schwärmerei, und wie ihm der Jüngling das anmerkte, drehte er gekränkt den Kopf mit dem langen braunen Wellenhaar zur Seite. Darüber erschrak Lukas, nein, kränken hatte er diesen sensiblen Burschen nicht wollen. Deshalb trat er zu ihm und bat um Entschuldigung. - Keine Antwort. Darauf stieß er ihn mit der Schulter an:
„Ich habe mich entschuldigt, das muss reichen. Im Übrigen musst du mich nicht mit Don anreden, nur weil ich gestern meinen Adelsanzug getragen habe, für dich bin ich Lukas. Und wie heißt du?“
„Carlo Alberti“, brachte er zaghaft über die Lippen, „ich komme aus Verona.“
„Ich stamme aus Südtirol, und ich will ausgebildeter, no, hier sagt man ja eingetragener Künstler werden.“
Damit hatte er bei Carlo ins Schwarze getroffen. „Das werde auch ich“, ereiferte er sich. „Ich bin
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