Hexen: Vier historische Romane (German Edition)
Fräuleinkleidung dem unwirtlichen Gilbhartwetter.
Angeregt von der winzigen Hoffnung, auf Raimund zu stoßen, strebte ich das Schulgelände an. Dort schlenderte ich zum Reitplatz, auch hinein in jenen Stall, wo die Rösser der Studenten untergebracht waren, doch Raimund war nirgends zu finden. Etwas betrübt darüber verließ ich das Gelände, aber nicht in Richtung Kloster, vielmehr hielt ich auf jene Landstraße zu, über die vor wenigen Stunden das Räuberrudel abgezogen war. Wie jeden Tag zogen darüber die verschiedensten Fuhrwerke hin, und ich erinnerte mich, welche Furcht mir anfangs die riesigen Ochsengespanne eingejagt hatten. Heute überquerte ich jede Straße mit Leichtigkeit.
Während ich nun neben der Landstraße über den vermatschen Fußpfad tappte, wobei jeder Schritt ein Schmatzgeräusch auslöste, geriet mir wieder der gestrige Abend in den Sinn, wobei neuerliche Empörung in mir aufwallte. Vierundzwanzig Nonnen lebten inzwischen in unserem Kloster, von denen die Äbtissin lediglich Mira und Notburga um Beistand hatte bitten können. Müssten aber in solch einer bedrohlichen Situation nicht alle Schwestern wie eine Eins zusammenstehen? Weshalb war das nicht möglich? Ich kannte die Antwort, doch sie missfiel mir - weil die übrigen Nonnen für eine derartige Anforderung teils zu feige, teils zu schwatzhaft waren, viele sogar beides. Verzeihung, Schwestern, ihr seid ja ‚nur schwache Frauen’. Raimund hatte sie mit seinem Einsatz alle in den Schatten gestellt, unaufgefordert hatte er zu unserem Schutz Stunde um Stunde das Gelände bewacht. Bei nächster Gelegenheit werde ich mich bei ihm dafür bedanken. Auch werde ich ihn nicht mehr so abweisend behandeln, so kindisch abweisend, welchen Grund hatte ich denn dafür? Raimund war ein hilfsbereiter, liebenswerter Mensch, und ebenso werde auch ich mich künftig ihm gegenüber betragen.
Über diese Gedanken geriet bereits der Kirchturm des Dorfes Unterau in meine Sichtweite, weshalb ich jetzt einen Umkehrbogen zu dem gegenüberliegenden Fußgängerweg schlug.
Da mich der hier recht schmale Fußpfad nunmehr sehr nah am Fahrbahnrand entlang führte, kamen mir auf der Straße die Karrenzieher, die Fuhrleute und Reiter dicht neben mir entgegen. Unangenehm für mich, da mir einige unverfroren in mein Narbengesicht stierten, mir dann aber grüßend zunickten, da mich meine Kleidung als Adelige auswies. Lächerlich, nach der Aufmachung beurteilt zu werden, doch leider üblich. Die Handwerker hoben sich stolz mit ihrer jeweiligen Berufstracht von den Bauern ab, die Gelehrten und Kaufleute von den Handwerkern und die Geistlichen von allen Weltlichen. Und die Frauen? Ahja, mehrere Schritte vor mir her eilte eine solide gekleidete Taschenschlepperin des Wegs, eindeutig die Frau eines Handwerkers; im Fond einer Kutsche entdeckte ich die Gattin eines Großhändlers, unfehlbar zu erkennen an ihrer protzigen Aufmachung, doch überwiegend traf mein Blick auf ärmlich gekleidete Bäuerinnen. Was mich wunderte, die meisten von ihnen waren doch nicht nur Ehe-, sondern vorrangig Hausfrauen, von deren Leistungen das Wohl der gesamten Familie wie auch des Gesindes abhing. Aber seltsam, eine Berufstracht für Hausfrauen, für den häufigsten aller Berufe, und sei es nur ein bestimmter Kopfputz, gab es nicht. Welcher Sinn lag in dieser Regelung?
Tante Anna war eine vorbildliche Äbtissin, denn sie leitete nicht nur das Kloster als solches, sondern gleichzeitig die zu ihm gehörende Schule sowie mit viel Geschick das Arzneiunternehmen. Kloster Odenborn war zwar verhältnismäßig klein, verzeichnete jedoch gute Gewinne. Deshalb waren auch im Frühherbst Abgesandte unseres Bischofs Christoph Metzler von Andelberg bei uns eingetroffen und hatten sich tagelang hier umgesehen, besonders im Labor sowie im Waren- und Handelshaus. Angeblich, um sich von dem Können der Nonnen etwas abzuschauen. Wie mir die Äbtissin allerdings anvertraut hatte, sprach einiges dafür, dass der Bischof unser Kloster kräuterkundigen Kapuzinermönchen zu übertragen trachtete. Seitdem hofften wir, ihre Befürchtung werde sich als Irrtum erweisen. Es erfüllte mich ein wenig mit Stolz, dass mir Tante Anna in einigem mehr Vertrauen schenkte als den Nonnen, Notburga eingeschlossen.
Notburga - ihr unerschrockenes Taktieren gestern Abend bis heute Früh und darüber hinaus ihr einfühlsames Verhalten der Priorin und mir gegenüber, hatten mich bestochen. Konnte sie nicht immer so sein? Ich wünschte sehr,
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