Hexenblut
sollst du sein, liebst du mich noch? Liebe mich noch, ich flehe dich an.
Barrumm, barrumm, barrumm, pochte sein Herz, flatterte seine Seele.
Seattle: Dr. Nigel Temar und Hecate
Kaum zu glauben, dass alles mit einer Katze angefangen hatte. Und nicht irgendeiner Katze, sondern einem wiederauferstandenen Hexentier. Die Zombiekatze, die er fauchend und spuckend und unter Trümmern eingeklemmt in den Überresten eines Hauses gefunden hatte, war das größte Geschenk seines Lebens. Er hatte das Tier mitgenommen und untersucht. Er verstand nicht viel von Magie, aber eine Menge von Naturwissenschaft, und er war sicher, dass er mit Hilfe dieser Katze seinen größten Traum wahr machen konnte. Ein Leben lang hatte er gesucht und geforscht, und die Antworten, die er brauchte, steckten in diesem kleinen, pelzigen Körper.
Vielleicht das Erstaunlichste war seine Entdeckung, dass das Geschöpf nicht erneut getötet werden konnte. Ganz gleich, was mit ihm geschah, es stand wieder auf, genauso zornig, genauso wundersam. Neugier ist der Katze Tod ... Er hatte keine Ahnung, wie das Tier ums Leben gekommen war, doch anhand dessen heftiger Reaktion auf Wasserschüsseln vermutete er, dass es möglicherweise ertrunken war. Seine monatelangen Studien an der Höllenkatze hatten endlich Früchte getragen: Vor zwei Tagen war es ihm gelungen, die Auferweckung zu wiederholen - aber durch Wissenschaft, nicht Magie. Jetzt hatte er zwei zornige, wiederbelebte Katzen in seinem Labor, und er hätte nicht glücklicher sein können.
Um ihn herum qualmten die Ruinen von Seattle. Das Ausmaß der Zerstörung, die Michael Deveraux in seinem Kampf gegen Holly Cathers und ihre Cousinen angerichtet hatte, war so groß, dass die Stadt Jahre brauchen würde, um sich zu erholen, sofern sie es überhaupt schaffte. Es gab Tausende von Toten und Vermissten, Opfer unnatürlicher Unwetter und Höllenkreaturen. Und dennoch wollten die Leute so weitermachen wie bisher, sie belogen sich selbst und taten so, als seien ihre Albträume nicht Wirklichkeit geworden.
Dr. Nigel Temars Büro lag in einem der wenigen Gebäude der University of Washington, die intakt geblieben waren. Auf dem Weg dorthin galten seine Gedanken nicht den vielen Opfern, nicht einmal den beiden toten Katzen, die ihn in seinem Labor erwarteten. Er achtete gar nicht auf die bizarr verzerrten Eisenträger, die von ehemaligen Unterrichtsräumen übrig geblieben waren, auf den klaffenden Krater, wo einst das Chemie-Institut gestanden hatte, oder auf die vielen hundert kleinen, improvisierten Mahnmale zum Gedenken an Studenten, die hier ihr Leben verloren hatten.
Nein, seine Gedanken galten nur einer einzigen Studentin. Kari Hardwicke war eine seiner Doktorandinnen gewesen, und sie war die Einzige, nach der er sich sehnte, die Einzige, die er vermisste.
Er betrat sein Institutsgebäude und ging die Treppe hinunter in sein Arbeitszimmer im Keller. Er schloss die Tür auf, schaltete das Licht ein und sperrte rasch wieder hinter sich ab. Ein unirdisches Jaulen drang an seine Ohren, und er lächelte die Katze an, die sich gegen das Gitter ihres Käfigs warf. Die andere funkelte ihn missmutig aus ihrem Zwinger an und hatte sich wohl noch immer nicht ganz an ihr anscheinend unbehagliches Leben nach dem Tod gewöhnt.
Monatelang hatte er so eng mit Kari zusammengearbeitet, Vorlesungen vorbereitet, Seminararbeiten korrigiert, über Mythologie diskutiert. Und während all der Zeit hatte er nur eines tun wollen: sie in die Arme nehmen und die Geheimnisse seiner wahren Forschungstätigkeit mit ihr teilen. Er hätte der Versuchung vielleicht sogar nachgegeben, wenn Kari nicht zur Unzeit diese Affäre mit dem übellaunigen Hexer Jeraud Deveraux angefangen hätte.
Aber wenn Nigel eine Tugend hatte, dann war das Geduld. Er verstand sich darauf zu beobachten und abzuwarten. Er hatte es erkannt, als die Leidenschaft des Hexers erloschen war. Er hatte Karis vergebliche Versuche beobachtet, das Interesse ihres Liebhabers wiederzuerwecken.
Dann war etwas geschehen, das Nigel nicht hatte vorhersehen können. Kari war in eine jahrhundertealte Fehde zwischen den verfeindeten Häusern Deveraux und Cahors hineingezogen worden. Vor ein paar Monaten hatte er sie aus den Augen verloren, doch er war zuversichtlich, dass er sie wiederfinden würde.
Er räumte ein wenig Platz auf seinem Schreibtisch frei und legte dann vorsichtig einen Laptop darauf ab, ihren Laptop. Endlich hatte er ihn gefunden, unter einem riesigen
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