Hexenblut
Roses Blick auf eine vertraute Gestalt. Sie brauchte einen Moment, bis sie sicher war, wen sie vor sich hatte. Körper sahen oft ganz anders aus, wenn der Funken des Lebens erloschen war. Außerdem hatte jemand dieser Frau die Kehle aufgeschlitzt, und ihr Gesicht war mit Blut verkrustet.
»Das ist sie«, sagte Rose schließlich.
Sarah legte einen Unsichtbarkeitszauber um die Leiche, und dann bückte sich Kyle, um sie aufzuheben.
»Leicht wie eine Feder, steif wie ein Brett«, witzelte er.
Sarah rümpfte die Nase, und Rose schüttelte den Kopf. »Verschwinden wir von hier«, befahl Rose angespannt.
»Ich fühle mich beschmutzt«, sagte Sarah mit einem Schaudern, während sie auf dem Rückweg zum Ausgang Leichen umrundeten. »Wenn ich daran denke, dass ich auf dem Grund und Boden des Obersten Zirkels gestanden habe...«
»Ja, das ist ein beunruhigendes Gefühl«, stimmte Kyle zu, der ausnahmsweise einmal ernst wirkte.
Sobald sie draußen waren, atmeten alle auf. Ein paar Minuten später erreichten sie ihr Ziel ohne Zwischenfälle.
Der Oberste Zirkel hatte London eindeutig verlassen. Das sollte gefeiert werden.
Als sie wieder sicher in Roses Haus angekommen waren, legten sie Kari im Wohnzimmer auf den Boden. Ihr Gesicht war grau und fleckig, und Maden wimmelten in der tiefen Schnittwunde, die quer über ihre Kehle verlief.
»Die Verwesung ist schon recht weit fortgeschritten«, stellte Kyle fest. »Das wird nicht einfach.«
»Tu, was du kannst«, wies Rose ihn an. Kyle war die einzige Hexe, von der sie wusste, dass sie tote Dinge liebte. Seine Fähigkeit, Leichen vor der Zersetzung zu bewahren, wurde oft für Zeremonien und Riten eingesetzt, und falls ihm einmal eine Konservierung merkwürdig erschien, stellte er niemals Fragen.
»Es ginge leichter, wenn wir die Organe entfernen«, schlug er vor, hob einen von Karis Armen an und inspizierte ihre Fingerspitzen.
»Wie bei einer Einbalsamierung?«, fragte Sarah.
»Ich würde das eher mit einer Taxidermie vergleichen - wie beim Tierpräparator. Aber im Prinzip, ja«, sagte er, ließ ihren Arm sinken und betrachtete stirnrunzelnd das klaffende Loch in ihrer Brust.
»Nein, die Familie will sie so intakt wie möglich«, erwiderte Rose. Sie bezweifelte, dass Dr. Frankenstein einen Körper würde wiederbeleben können, der seit mehreren Tagen tot und so schwer beschädigt war wie dieser hier. Falls er das tatsächlich konnte, würde sie sein Geheimnis zu gern erfahren.
»Ich brauche das Übliche«, sagte Kyle. »Salze, Myrrhe, Bernstein.« Er verzog das Gesicht und wiederholte: »Das wird nicht einfach.«
Vier Stunden später war es geschafft. Kari war so gut einbalsamiert wie möglich. Rose und Kyle packten sie in eine große Kiste, und Sarah versah sie mit einem Illusionszauber, damit niemand die Leiche darin bemerkte.
Als alles fertig war, wählte Rose die Nummer, die der Doktor ihr genannt hatte. Sobald er sich meldete, sagte sie: »Wir sind bereit zum Versand. Bitte nennen Sie mir die Adresse.«
Seattle: Dr. Temar und Hecate
In seinem Labor öffnete Dr. Temar vorsichtig, ja ehrfürchtig, die schlichte Holzkiste. Beim Inhalt schien es sich um Dutzende Sträuße aus getrockneten und vergoldeten Kräutern und Blumen zu handeln. Sie waren hübsch, zart und vollkommen unwirklich. Das war also der Illusionszauber, den English Rose benutzt hatte, um sicherzustellen, dass jemand, der die Kiste öffnete, die Leiche darin nicht sehen konnte. Er murmelte leise ein paar Worte, die sie ihm genannt hatte, um die Illusion zu brechen.
Die Luft schien kurz zu schimmern, die Umrisse der Blüten leuchteten auf, verblassten dann wieder, und er sah Karis wunderschönes Gesicht. Die Hexen hatten Wort gehalten. Kari war zwar schon seit über zwei Wochen tot, ihr Leichnam aber gut erhalten, wenn auch keineswegs makellos.
Irgendetwas war in ihrer Brust explodiert und hatte Fleisch und Knochen so zerfetzt, dass nicht viel davon heil geblieben war. Außerdem war ihr die Kehle aufgeschlitzt worden, und eine hässliche Linie zog sich quer über ihren Hals. Er hatte sich auf einen möglicherweise unschönen Anblick gefasst gemacht, konnte aber dennoch nicht verhindern, dass ihm die Tränen aus den Augen liefen und auf ihre leblosen Wangen tropften.
»Kari, ich hole dich zurück, das schwöre ich.«
Die Katzen in ihren Käfigen kreischten.
Avalon: Eli
Eli Deveraux wandelte am Strand der Insel Avalon entlang wie in einem Traum. Nach dem Kampf im Hauptquartier des Obersten Zirkels
Weitere Kostenlose Bücher