Hexenblut
Garrett.« Ich hielt ihm meine Hand hin.
Er schüttelte sie, einfach, weil er zu höflich war, um meine Geste zu ignorieren. Er führte mich in sein Büro, das aufgeräumt und zweckmäßig eingerichtet war. An einer Wand stand ein großer Aktenschrank, an der anderen ein Regal. Auf seinem Schreibtisch aus Buchenimitat standen ein Posteingangskorb aus Plastik, ein Stifteköcher, persönliche Dinge waren kaum zu entdecken, weder Familienfotos noch eine Grünpflanze.
Während er sich hinsetzte, sagte er: »Und? Was wollen Sie über Sarah wissen, das nicht bereits in der Presse breitgetreten wurde?«
»Wie gehen die Schüler damit um?«, fragte ich. »Es geht hier schließlich nicht nur um Sarah.«
»Ich habe die Schüler schon lange nicht mehr so aufgeregt erlebt«, gab er zurück. »In den ersten Tagen haben sich die Leistungen deutlich verbessert. Wenn sie kurz vor den Abschlussprüfungen gefasst wird, könnten wir rekordverdächtige Ergebnisse erzielen.«
Ich lachte höflich. »Haben die Kinder sie gemocht?«
»Sie war eine gute Lehrerin«, antwortete er nickend. »Enthusiastisch, mitreißend, selbstbewusst.« Er lächelte flüchtig. »Es gab keinen Hauch einer Chance, dass sie bleiben würde. Für Lehrer ist diese Schule entweder ein Sprungbrett oder das Abstellgleis, bis die Rente fällig wird.«
»Wissen Sie irgendetwas über Briefe, die Sarah nach ihrem Verschwinden geschickt haben könnte?«, fragte ich und beobachtete ihn genau. Wenn der Direktor auch davon wusste, dann nahm die Polizei diese Briefe sehr ernst.
Er hielt inne und strich sich über seinen Schnurrbart. »Nein«, sagte er schließlich.
Ich glaubte ihm nicht. »Sie klingen nicht sehr überzeugt von Ihrer Antwort.«
Nachdem er tief durchgeatmet und mir einen finsteren Blick zugeworfen hatte, schaute er theatralisch auf seine Armbanduhr. »Erzählen Sie mir von diesen Briefen, dann werden wir ja sehen, wie weit wir kommen.«
Darauf konnte ich nichts erwidern, was er wiederum mit einem Lächeln zur Kenntnis nahm. Er wusste, es war nur ein Schuss ins Blaue gewesen.
»Ich muss mich jetzt meiner Arbeit widmen, Mr Garrett.«
»Was ist mit dem 31. Oktober?«, warf ich ein, da mir der Facebook-Eintrag einfiel. »Heute in drei Tagen. Wissen Sie, ob der Tag für Sarah oder sonst jemanden hier eine besondere Bedeutung hat?«
»Am 31. ist Halloween, sonst nichts.«
»Wie sieht es mit besonders guten Freunden in der Schule aus?«, fragte ich in einem letzten Anlauf.
»Was meinen Sie damit? Jemanden, der einer Mörderin Unterschlupf in seiner Wohnung gewähren würde?«, fragte er voller Sarkasmus. »Nein«, beantwortete er seine eigene Frage. »Sarah hat ein paar Männern im Kollegium den Kopf verdreht, aber es gab keine besonderen Vorkommnisse. Ich würde auch davon ausgehen, dass der eine oder andere Schüler in sie verknallt war.«
»Klingt interessant. Können Sie mir Namen nennen?«
»An dieser Schule wimmelt es von Jungs im Teenageralter«, erwiderte er unverhohlen gelangweilt. »Wenn es ihnen gestattet wäre, würden sie den ganzen Tag über die Hände nicht aus der Hose nehmen. Daran, dass ein paar Jungs unsterblich in sie verliebt waren, ist nichts Ungewöhnliches, aber ich schätze, die betreffende Mutter würde es schon mitbekommen, wenn plötzlich eine langbeinige Schönheit jeden Morgen das Badezimmer blockieren würde.«
Als ich ihn amüsiert ansah, stand er auf. »Auf Wiedersehen, Mr Garrett.«
Ich hob kapitulierend die Hände und lächelte. »Okay, vielen Dank, dass Sie mir Ihre Zeit gewidmet haben.«
Dann verließ ich das Zimmer und winkte der Sekretärin zu, die nur mit einem giftigen Blick reagierte. Draußen angekommen, wusste ich nicht so recht, was ich als Nächstes tun sollte, und sah mich in der Menge der Schüler um, die alle auf dem Heimweg waren. Plötzlich wurde ich auf einen gut vierzehnjährigen Jungen aufmerksam, der gleich neben mir stand. An den Seiten waren seine Haare abrasiert, der Rest wurde mit Gel in Form gehalten. Er trug die Schuluniform, jedenfalls zum Teil. Die Fliege war so locker, dass sie bis zur Brusttasche herabhing, und seine Hose war eine schwarze Jeans.
»Sind Sie ’n Reporter?«, fragte er.
»Wie kommst du darauf?«, erwiderte ich.
»Weil ihr alle gleich ausseht«, sagte er, woraufhin ich seine Eingangsfrage mit einem Schulterzucken bejahte. »Ich hoffe, dass sie Miss Goode finden. Sie war nett. Und ’ne gute Lehrerin.«
Ich lächelte ihn an. »Und wenn sie sie finden und dann
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