Hexenblut
Zeit hatte sie jegliche Orientierung verloren. Der Wagen war ein altes Modell, die Stoßdämpfer waren ausgeleiert, sodass jedes Schlagloch ihr wie ein Tritt in den Rücken vorgekommen war.
Als der Wagen anhielt, zerrte der Mann Sarah an dem Seil um ihre Handgelenke aus dem Kofferraum und drehte ihr die Arme wieder auf den Rücken, um sie hinter sich herzuziehen. Der Kies schnitt sich in ihre bloßen Fußsohlen, ihr wurden die Augen zugehalten, und dann wurde sie eine Treppe hinuntergeschleift und in diesen Raum gestoßen, sodass sie bäuchlings auf dem Boden landete.
Er hatte das Seil gelöst und sie in eine Ecke der Zelle geschleppt, wo die Kiste stand. Die hatte das längliche, schmale und flache Format der Boxen, in denen man Gewehre verstaute; an einem Ende befand sich ein Deckel, und der Mann schob sie auf dem Rücken liegend und mit dem Kopf voran hinein. Ihre Arme wurden gegen ihre Seiten gedrückt, sodass sie sie nicht mehr bewegen konnte. Ihr Kopf stieß an das andere Ende, und als der Deckel geschlossen wurde, musste sie die Beine anwinkeln, damit er sie nicht traf.
Die Dimensionen der Kiste waren so bemessen, dass sie sich darin nicht bewegen konnte. Der Deckel war nur ein paar Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt, es gab keine Ritzen, durch die sie einen Blick nach draußen werfen konnte, und der einzige Lüftungsschlitz befand sich in diesem Deckel, bei ihren Füßen, sodass sich die Feuchtigkeit ihres Atems auf ihrem Gesicht niederschlug. Sie wollte sich ausstrecken, doch das ging nicht.
Sie schrie, sie kreischte – nichts half. Angestrengt dachte sie darüber nach, wie sie Ruhe bewahren und die Gefangenschaft überstehen konnte. Es wurde wieder Nacht, was ihr die Kälte ringsum verriet, und danach verstrich noch eine Nacht. Sie verspürte Hunger, ihr Mund war wie ausgedörrt, und ihr Überlebensinstinkt bezwang ihre Angst.
Dann jedoch kam der Mann zurück in die Zelle und drehte die Kiste um, und den folgenden Tag verbrachte Sarah auf dem Bauch liegend, weiterhin nicht in der Lage, die Arme zu bewegen, und völlig im Unklaren darüber, ob sie sich je wieder würde rühren können. Sie war von allen Seiten gefangen, unfähig, sich zu drehen. Ohne Wasser, ohne Essen.
Am dritten Tag wurde sie aus der Kiste gelassen, damit sie etwas Wasser trinken und ein paar Brotrinden essen konnte. Der Mann hatte vor ihr gestanden, aber durch die Dunkelheit in der Kiste schien ihr das Licht so grell, dass sie geblendet war. Sie streckte sich einige kostbare Momente lang, während sie versuchte, sich an die Helligkeit zu gewöhnen.
Er sagte kein Wort, sondern stand nur da und beobachtete sie durch die schwarze Kapuze hindurch. Dann wurde sie wieder in die Kiste eingesperrt. Sie wehrte sich und schrie, sie flehte ihn an, nicht noch einmal in die Kiste zu müssen, doch er war stärker als sie.
So war es noch drei Tage lang weitergegangen, ohne dass jemand ein Wort mit ihr gewechselt oder dass man ihr einen Grund für ihre Gefangenschaft genannt hätte. Nur Schweigen, sonst nichts.
Und dann war da noch dieser zweite Mann gewesen, der sich jetzt auch hier in ihrer Zelle aufhielt.
Sarah wusste, er war der Jüngere von den beiden. Sie erkannte es an seiner aufgeregten Stimme, wenn er ihren Namen rief und sie verhöhnte und quälte. An einem Tag hatte er die Kiste ächzend und stöhnend aufrecht hingestellt, sodass Sarah kopfüber in ihrem Gefängnis gesteckt hatte. Es war ihr nicht möglich gewesen, sich mit den Händen abzustützen, sodass ihr ganzes Gewicht auf ihrem Genick lastete. Er hatte sie nur ein paar Minuten so ausharren lassen, doch die genügten, um ihr das Gefühl zu geben, dass das Gewicht ihres eigenen Körpers sie ersticken würde. Dann aber war er zurückgekehrt und hatte die Kiste angestoßen, damit sie der Länge nach auf den Boden knallte.
Ein anderes grausames Spiel bestand darin, die Kiste mit einem Hammer zu traktieren. Es war nur Lärm, der die zu der Zeit herrschende Stille unterbrach, aber die Schläge waren laut und hallten in der Holzkiste von allen Seiten wider.
Auch wenn dieser Raum ihr Angst machte, wollte sie unter keinen Umständen zurück in die Kiste.
»Was wollen Sie?«, fragte sie mit einem leichten Zittern in der Stimme.
Er warf einen Beutel auf den Boden, darin befand sich Kleidung. Ihre Jeans und das Hemd, beide gewaschen, ein selbst gestrickter Pullover, der wohlige Wärme versprach. Sarah stand vom Bett auf und zog die Sachen an, wobei sie angesichts der Wärme vor
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