Hexenblut
»Der Schuldirektor hat eben angerufen und mir erzählt, dass Ihr Loverboy ihn nach den Briefen gefragt hat.«
Laura lächelte so zuckersüß, wie sie nur konnte. »Ach, dann hat er auch Facebook erwähnt?« Als Carson sie verständnislos ansah, fuhr sie fort: »Vielleicht sollten Sie besser auf Jack hören. Sie müssen schon entschuldigen, wenn ich nicht bei jeder Kleinigkeit zu Ihnen gelaufen komme. Gestern schienen Sie sich nicht besonders für das zu interessieren, was ich Ihnen zu erzählen hatte.«
»Was ist das mit Facebook?«
»Der Terminkalender für den 31. Oktober. Der Eintrag lautet: › Heute sterbe ich. ‹ Das heißt, Sarah muss Zugang zu einem Computer haben, denn sie und der Loverboy sind jetzt Freunde.«
Carson starrte sie an, sein Kopf war so rot, dass es schien, als würde er jeden Moment platzen. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und stürmte aus dem Raum. Als Laura wieder allein war, legte sie den Stift weg und betrachtete ihre zitternden Hände. Sie wusste nicht, wie weit sie den Mann noch treiben konnte, bis sie sich mit einer disziplinarischen Maßnahme konfrontiert sehen würde, aber sie wusste, dass sie keine große Lust hatte, ihm zu helfen. Wie kam es nur, dass der prozentuale Anteil an Arschlöchern umso größer wurde, je höher der Dienstgrad war?
* * *
Auf der Wache herrschte Ruhe, als Rod zurückkehrte. Es war keine große Wache, und von außen sah das Gebäude wie ein Kirchensaal aus, der als Trainingszentrum für neue Rekruten benutzt wurde. Wenn in seinem Zuständigkeitsbereich etwas vorfiel, dann schwärmten sie fast alle aus, weil sie auf etwas Interessantes hofften, womit es für die Hiergebliebenen umso ruhiger wurde.
Als er sein Büro betrat, sah er, dass jemand einige Faxe auf seinen Schreibtisch gelegt hatte. Es handelte sich um aktuelle Ergänzungen zu den Explosionen. Während er sich hinsetzte, blätterte er sie einmal flüchtig durch.
Die Analyse der Fingerabdrücke lag zuoberst, sie war negativ ausgefallen. Die übrigen Faxe befassten sich mit den Sprengladungen, was ihn schon mehr interessierte. Er begann zu blättern. So wie alle Berichte von Experten wimmelten sie von technischen Fachausdrücken, mit denen die Grundlagen und die Schlussfolgerung erläutert wurden. Also machte Rod das, was er immer tat: Er übersprang die Ausführungen und widmete sich sofort der Schlussfolgerung. Und da stand es: Ammoniumnitrat, ein auf einem Düngemittel basierender Sprengstoff, das Lieblingskind aller Anarchisten. Leicht zu beschaffen und richtig gemischt für einen gehörigen Knalleffekt gut.
Es klopfte an der Tür, und eine Frau steckte den Kopf herein. Sie war eine von den Constables. »Eine junge Frau möchte Sie sprechen, Sir. Emily Marsden. Sie sagt, Sie wüssten, um was es geht.«
Rod lehnte sich zurück. »Schicken Sie sie rein.«
Die Frau ging zur Seite, Emily kam herein und lächelte ihn verlegen an. Er erkannte sie von seinem Besuch in Islas Haus wieder. Sie war Islas Tochter. »Was kann ich für Sie tun, Emily?«, fragte er und wies auf einen der freien Stühle. Emily setzte sich, die Knie fest zusammengedrückt, auf dem Schoß einen Leinenbeutel.
»Glauben Sie, meine Mum ist in Gefahr?«, fragte sie und schaute ihn mit großen Augen an.
»Das weiß ich nicht«, antwortete er, »weil Ihre Mutter mir nichts über sich selbst erzählen will.«
»Vielleicht will sie nicht, dass Sie etwas über sie wissen.«
»Das ist ihr gutes Recht«, erklärte er. »Aber ich möchte nicht, dass ihr etwas zustößt.«
Emily wickelte gedankenverloren die Griffe ihres Beutels um die Finger und atmete ein paarmal tief durch. »Meine Mum wird mich dafür umbringen, aber es geht um Abigail.«
Rod nickte. »Erzählen Sie.«
»Es geht um diese Kunstgewerbegruppe, die meine Mum besucht. Abigail geht da auch hin. Ich glaube, da läuft mehr, da werden nicht bloß Ringe und so ’n Zeug hergestellt.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Weil die sich ziemlich oft treffen, und wenn Mum hingeht, braucht sie jedes Mal eine Ewigkeit, bis sie fertig ist.« Dann musste Emily lächeln. »Und ich habe gesehen, was für Ringe und Armbänder sie verkaufen.«
»Taugt das Zeug nichts?«
»Richtiger Schrott«, erwiderte sie und lachte verlegen.
Rod lächelte sie an. Emily war recht nett, wenn auch vielleicht ein bisschen verschroben. Bei ihr konnte er sich gut vorstellen, dass sie lieber auf einer Wiese saß und Haarkränze aus Gänseblümchen bastelte, anstatt wie die meisten ihrer
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