Hexenblut
Freude fast gelächelt hätte. Er verließ den Raum und kehrte gleich darauf mit einem Tablett zurück – Suppe und Brot, Kaffee, dazu noch irgendetwas anderes.
Sie betrachtete das Essen. »Weitere freundliche Gesten?«, fragte sie.
»Nichts ist umsonst«, sagte er »Du musst etwas für mich tun.« Mit diesen Worten hielt er ihr einen durchsichtigen Plastikbeutel hin.
Darin befanden sich ein Stift und Papier, und dann bemerkte sie, dass er Einweghandschuhe trug und den Beutel von sich weg hielt.
»Noch ein Brief?« Sie erinnerte sich an die anderen Male, die einzigen Gelegenheiten, bei denen sie aus der Kiste gelassen worden war. Sie hatte getan, was von ihr verlangt wurde, weil sie hoffte, für ihre Mitarbeit in irgendeiner Weise belohnt zu werden, doch was sie schreiben musste, klang verstörend und beängstigend.
»Die Leute sollen wissen, dass du noch lebst«, erklärte er seltsam aufgeregt, und ihr fiel auf, dass er nervös von einem Fuß auf den anderen trat.
»Aber warum auf diese Weise?«, fragte sie. »Diese Briefe ergeben keinen Sinn.«
»Weil ich es sage«, gab er zurück.
Er stellte das Tablett außerhalb ihrer Reichweite auf dem Boden ab, dann kam er zu ihr und gab ihr Stift und Papier. Aus der Tasche zog er ein weiteres Blatt, auf dem ein vorbereiteter Text geschrieben stand. »Du weißt, wie es läuft. Schreib das ab, und du bekommst etwas zu essen.«
Sarah sah ihn an und spürte, wie sich Wut in ihr regte. Es würde Zeit, dass sie einen kleinen Triumph errang.
»Lassen Sie mich erst essen, dann schreibe ich.«
»Schreib jetzt«, forderte er sie auf und klang ein wenig gereizt. »Wenn du es nicht machst, gehe ich wieder, und es gibt nichts zu essen.«
Sarah schaute zu dem Tablett. Das Aroma der Suppe ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Dann überflog sie den Text, den sie abschreiben sollte. »Okay, okay«, lenkte sie ein. »Ich werde es tun.« Wieder kamen ihr Tränen. »Gehen Sie bitte nicht weg.«
Er trat noch unruhiger von einem Fuß auf den anderen, das Ganze schien ihm unglaublich viel Vergnügen zu bereiten. Verschämt wischte sie ihre Tränen weg und sah sich genauer an, was sie abschreiben sollte. Die Worte verursachten ihr eine Gänsehaut.
»Was soll das bedeuten?«, fragte sie.
Als er den Kopf schüttelte, wusste Sarah, dass ihr keine andere Wahl blieb, als ihm zu gehorchen. Also begann sie zu schreiben, wobei ihre kalten Finger zunächst Mühe mit dem Stift hatten. Nachdem sie fertig war, steckte sie ihn zusammen mit dem Blatt in den Plastikbeutel. Zufrieden verließ der Mann ihre Zelle.
Sarahs Blick wanderte zurück zum Essen, und sofort meldete sich ihr knurrender Magen. Sie aß hastig und schüttete dann den Kaffee runter. Er war heiß und stark. Gestärkt legte sie sich auf ihr Bett und betrachtete die Maserung der Holzbalken in der Decke über ihr. Gut zwanzig Minuten lang tat sie nichts anderes, bis ihr auf einmal bewusst wurde, dass sie die Maserung deutlicher sehen konnte als zuvor. Die Maserung war klarer und zeigte Schattierungen, das Licht tanzte über sie hinweg, Regenbogen wirbelten um jede Linie und bewegten sich im Takt zum Lärm aus den Lautsprechern. Sarah war von dem Schauspiel wie gebannt, und sie wollte sehen, bis wohin die Linien verliefen. Während sie sie verfolgte, schienen sie sich ineinander zu verdrehen. Plötzlich erschrak sie, da die Holzbalken auf sie herabzustürzen drohten. Sie hielt sich schützend die Arme vors Gesicht, doch sie spürte keinen Schmerz. Wieder sah sie zur Decke, aber die Balken waren noch da oben. Allerdings schienen sie im Takt der Herzschläge, die unaufhörlich aus den Lautsprechern drangen, zu vibrieren.
Voller Angst strampelte sie mit den Beinen und trat die Decke weg. Sie suchte Schutz. Doch es gab hier kein sicheres Versteck, und so landete sie auf allen vieren auf dem Boden. Hektisch schaute sie sich um und sah, dass die Zellenwände ebenfalls im Takt des dröhnenden Lärms und dann im Takt ihres eigenen Herzschlags vibrierten. Die Steine schienen miteinander zu verschmelzen und bildeten Schatten, die das grelle Licht der Deckenlampen zu verdecken begannen.
Sarah schrie und legte die Arme um den Kopf. Dann wurde ihr klar, was hier geschah. Man hatte etwas in ihr Essen gemischt. Ihr war nicht gut, und sie hatte das Gefühl, dass ihre Gedanken durch ein kleines Loch aus ihrem Kopf gezogen wurden, während die Realität implodierte und das Surreale an ihre Stelle trat.
Sie geriet in Panik, sie wusste, was
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