Hexengericht
Raphael. Wenigstens steckten Judas kostbare Bücher in seiner Gürteltasche.
»Wir haben noch die Münzen, die Giacomo trägt«, sagte Amicus. »Die reichen allemal.«
Jeanne hüstelte. Die drei Männer sahen sie fragend an. »Ich fürchte«, sagte sie und schluckte, »das ist nicht ganz richtig.«
»Wieso?«, fragte Amicus.
»Juda gab mir vor unserer Abreise drei Gewänder seiner Frau«, sagte Jeanne. »Ich habe sie in meine Satteltaschen getan und Münzen und Geschmeide in Raphaels Taschen gesteckt.«
Amicus fluchte. »Jetzt ist Schmalhans Küchenmeister.«
Jeanne schlug die Hände vor ihr Gesicht. Sie war den Tränen nahe. »Bitte, verzeiht mir. Ich konnte ja nicht ahnen, wie alles kommen würde.«
Tröstend nahm Raphael sie in den Arm. »Was geschehen ist, können wir nicht mehr ändern.« Was er verheimlichte, war, dass er noch eine letzte Goldmünze in seiner Tasche verwahrte, die er Lazare nicht gegeben hatte. Er wollte sie erst hervorholen, wenn es keinen Ausweg mehr geben sollte.
»Erklärt das meinem Magen«, wandte Amicus ein.
»Eurem Magen wird es an nichts mangeln«, sagte Raphael. Er legte Amicus eine Hand auf die Schulter. »Nun führt mich bitte zu Imberts Leichnam.«
Brummend kletterte Amicus aus der Mulde. Er wartete nicht, sondern stapfte los, sodass die Freunde Mühe hatten, ihm zu folgen.
Bald hatten sie den toten Dominikaner erreicht. Aus der Wunde in der Brust war viel Blut geflossen, das jetzt schwarz auf seinem Habit klebte. »Hier habt Ihr den Bastard. Tot wie der Heiland und seine Apostel.«
Auf die Blasphemie ging Raphael nicht ein. Er durchsuchte Imbert, fand aber nichts.
»Was ist das?«, fragte Pierre.
»Was meinst du?«, wollte Raphael wissen.
»Der dunkle Fleck auf seinem Arm.«
Raphael schaute auf die Stelle, die Pierre meinte. Der Ärmel des Habits war hochgerutscht und entblößte Imberts linken Arm. Halb verdeckt war dort das Fragment einer Zeichnung in schwarzer Farbe zu erkennen. Raphael schob den Ärmel höher. Zum Vorschein kam das ganze Bildnis. Es war eine hässliche Fratze mit vier geschlitzten Augen und zwei grinsenden Mündern, die messerscharfe Zähne zeigten. Der Schädel war haarlos. Zwei abgeflachte Hörner traten über den Schläfen aus der Stirn hervor.
»Was zur Hölle ist das?«, fragte Amicus.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Raphael. »Ein Dämon, dessen Bildnis ich nie zuvor gesehen habe.«
»Ist es in sein Fleisch gebrannt?«, fragte Jeanne.
»Nein«, sagte Raphael. »Ich habe von Völkern fern im Osten gehört, die diese Kunst beherrschen. Mittels einer Nadel stechen sie Farbe unter die Haut. Doch ich hätte solch ketzerisches Idolum nicht auf dem Körper eines Dominikaners erwartet.«
»Ein weiteres Rätsel«, sagte Jeanne.
»Und eine Spur«, ergänzte Raphael. »Folgen wir der Fährte, gelangen wir an unser eigentliches Ziel. Das spüre ich.«
»Ihr glaubt, dass das Idolum in Verbindung zu Henri le Brasse steht?«, fragte Jeanne.
»Genau das. Ich wünschte, wir hätten Tinte und Feder, dass ich es aufzeichnen könnte.«
»Wartet«, warf Amicus ein. Er zog das Messer aus seinem Gürtel, hockte sich neben die Leiche und begann, das Stück Haut aus Imberts Arm zu schneiden.
Mit einem Schrei wandte Jeanne sich ab.
Amicus’ geschickte Finger verrichteten ihre Arbeit schnell und sicher. Nach dem letzten Schnitt gab er Raphael den blutigen Hautfetzen. Der wickelte ihn in ein Tuch, das er in sein Hemd steckte.
»Wir hatten Gelegenheit«, sagte Jeanne, »vor seinem Tod mit Imbert zu reden. Mir scheint, dass wir es nicht unmittelbar mit der Inquisition zu tun haben, sondern mit einem geheimnisvollen Zirkel, der uns nach dem Leben trachtet. Ihr müsst irgendwann in ein Wespennest gestochen haben, Bruder Raphael.« In wenigen Worten berichtete sie, was sie von Imbert erfahren hatten.
»In der Tat«, sagte Raphael daraufhin. »Ich fand in Henris Besitz ein uraltes Dokument, das von Hexenwerk kündet. Somit bestätigt sich nun auch mein Verdacht.«
»Und«, meldete sich Amicus zu Wort, »wann hattet Ihr gedacht, uns davon zu erzählen?«
Raphael lächelte. Sanft berührte er die Schulter des Freundes. »Verzeiht mir. Ich wollte Euch nicht beunruhigen, bevor ich keine Beweise in Händen hielt.« Er klopfte auf die Stelle seines Hemdes, unter der der Hautfetzen lag. »Nun habe ich einen.«
Plötzlich hörten sie ein Geräusch hinter sich. Sie fuhren herum, bereit, ihr Leben zu verteidigen. Aber im gleichen Augenblick lachten sie
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