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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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dem alten Mann. »Euch schickt der Himmel, bester Lazare!«
    Der hob die schwere Axt über den Kopf. »Dankt mir, wenn ich diesem da den Schädel eingeschlagen habe.«
    »Nein!«, rief Raphael und griff nach Lazares Arm. »Lasst ihn am Leben. Ich bitte Euch.«
    »Erfülle ich Euch diesen Wunsch, ist unser eigenes Leben in Gefahr. Und meine Seele ist mir wichtiger als die seine.«
    »Ihr sprecht wie jemand, den ich sehr gut kenne«, sagte Raphael.
    »Das muss ein weiser Mann sein.« Lazare holte erneut zum Schlag aus.
    »Nicht!« Raphael stellte sich zwischen Lazare und den ohnmächtigen Hauptmann. »Denkt an Noé! Tötet Ihr diesen Mann, seid Ihr und der Knabe nirgendwo mehr sicher.«
    Lazare senkte die Axt. Im Feuerschein der brennenden Häuser glänzten Tränen auf seinen Wangen. »Noé ist tot«, flüsterte er. »Diese Hunde haben ihn gemeuchelt, nachdem Ihr fort wart.« Er zeigte mit dem Schaft der Axt auf den Ritter.
    »Herr im Himmel!« Raphael legte Lazare tröstend eine Hand auf die Schulter. »Euer Verlust trifft mich tief. Aber Rache vermag ihn nicht wieder zum Leben zu erwecken. Eine Sünde rechtfertigt nicht, dass auch wir sündigen. Und der Tod dieses Mannes ist gewiss nicht im Sinne von Noé.«
    »Der Tod ist ein guter Bekannter«, sagte Lazare. »Am Abend holte er den Jungen, in der Nacht will er diesen Mordbuben. Jetzt lasst mich tun, was Gevatter Tod von mir verlangt.« Wieder schwenkte er die Axt.
    Es gab für Raphael keinen anderen Ausweg, als Lazare die Axt aus den Händen zu reißen und ihn fortzuschleifen.
    »Nehmt Eure Finger weg!«, zeterte Lazare.
    Glücklicherweise war der Mann noch viel zu geschwächt, um ernsthaft Widerstand leisten zu können. Die Axt behielt er jedoch in der Hand.
    Hinter ihnen erwachte ächzend der Hauptmann.
    »Wo schafft Ihr mich hin?«, fragte Lazare.
    »Zu Freunden«, gab Raphael zurück. Er empfand es als seine Pflicht, fortan für Lazare zu sorgen.
    »Lasst mich hier zurück«, sagte Lazare. »Zusammen schaffen wir es niemals, heil aus dem Dorf hinauszukommen. Die Ritter sind überall. Allein mögt ihr vielleicht Glück haben und entkommen.«
    »Nie und nimmer«, erwiderte Raphael. »Ihr kommt mit mir! Wenn ich eines gelernt habe«, fügte er hinzu, »dann ist es, dass es immer einen Ausweg gibt. Also, denkt nach. Wie gelangen wir ungesehen in den Wald?«
    Müde sackte Lazare zu Boden. »Ich will schlafen. Geht und lasst mir meinen Frieden. Ich bitte Euch.«
    Raphael packte ihn unter den Armen und zog ihn hoch. »Kommt jetzt!« Er fühlte ungeahnte Kräfte in seinen Armen, und so schleppte er den alten Mann hinter eine brennende Scheune. »Fühlt Ihr Euch besser?«
    Lazare nickte. »Ein wenig. Aber es ist töricht von Euch, Euer Leben für das meine aufs Spiel zu setzen.«
    »Töricht«, sagte Raphael gedehnt und er lächelte, »wäre es gewesen, Euch den Schwertern der Ritter zu überlassen. Und nun sollten wir überlegen, wie wir das Dorf auf sicheren Pfaden verlassen können.«
    »Mir ist kein Weg bekannt, auf dem wir gefahrlos in den Wald gelangen.«
    Raphael dachte nach. »Ich habe vier Kirchen gesehen. Eine in der Dorfmitte, die anderen wie aufgereiht in östlicher Richtung. Eine seltsame Anordnung.«
    »Sie sind in einem Abstand von dreihundertdreiunddreißig Schritten gen Jerusalem gerichtet«, erklärte Lazare. »Aber wozu erwähnt Ihr die Kirchen? Wollt Ihr etwa beten?«
    »Mitnichten.« Raphael lächelte. »Doch glaube ich kaum, dass die Ritter auch die Gotteshäuser in Brand steckten.«
    Lazare nickte und stand ächzend auf. »Seht Ihr die Gasse dort vorn neben der Schmiede?«
    Raphael nickte.
    »Am Ende der Gasse verläuft ein Bach. Von der anderen Seite aus können wir die erste Kirche schon sehen.«
    »Ihr fühlt Euch stark genug?«, wollte Raphael wissen.
    Ein grimmiges Lachen war die Antwort.
    Ungesehen erreichten sie den Bach. Sie sprangen hinüber und warfen ihre müden Körper auf die Erde. Vor ihnen lag eine ausgedörrte Wiese. Lazare zeigte mit der Axt nach Osten, und da sah Raphael die erste Kirche, die hinter der Dorfmitte den Weg in die Freiheit wies. In den bunt bemalten Fenstern spiegelten sich die brennenden Häuser in bizarren Mustern wider. Umgeben war sie von einer niedrigen Mauer, aus der die Zeit längst die ersten Steine gebrochen hatte. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen.
    »Was meint Ihr?«, fragte Raphael.
    »Scheint sicher«, antwortete Lazare.
    Sie sprangen auf und liefen über die Wiese. Schließlich erreichten

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