Hexengericht
Häuser der Stadt. Nirgends schwarze Fahnen, die von der Pest kündeten. Dann standen sie vor den schwer bewachten Toren von Limousis.
Vier behelmte Wachen in Lederwams und mit Schilden und Lanzen bewaffnet traten den Fremden entgegen. »Was ist euer Begehr in Limousis?«, wollte der Anführer, ein dicker, schwitzender Kerl, wissen.
»Wir sind Spielleute«, erklärte Raphael. »Wir wollen unsere Kunst auf dem Jahrmarkt darbieten.«
»Wo kommt ihr her?«, fragte der Soldat weiter.
»Aus Boisset«, antwortete Raphael.
»Lebt ihr dort?«
»Nein.«
»Wo wart ihr vorher?«
Die Episode in Saint-Gély-du-Fesc wollte Raphael verschweigen. Man wusste ja nie, ob die Leute in dieser abgelegenen Region durch irgendwelche Umstände von den dortigen Vorkommnissen erfahren hatten. So sagte er: »Montpellier.« Und biss sich gleich darauf auf die Zunge.
»Montpellier?« Der Soldat zog die Augenbrauen hoch. Seine Kameraden richteten ihre Lanzen auf die Köpfe der Fremden. »Wenn ihr aus Montpellier seid, gewähren wir euch keinen Einlass.«
»Warum nicht?«, fragte Raphael, obwohl er die Antwort ahnte.
»Weil ihr womöglich die Pest einschleppt.«
»Wir haben Montpellier vor über einem Monat verlassen«, sagte Raphael. »Bei keinem von uns gibt es Anzeichen der Pest.«
»Was heißt das schon? Vielleicht tragt ihr die Krankheit längst in euch.«
»Dann wäre sie schon ausgebrochen«, bekräftigte Raphael.
»Bist du ein Medicus?«
»Nein, aber …«
»Dann schwatz nicht von Dingen, die du nicht verstehst.«
Raphael wurde wütend. Was bildete dieser aufgeblasene Fettwanst sich ein? »Du willst uns also den Einlass verweigern?«
»Ja«, sagte der Soldat. »Aber es gibt eine Möglichkeit für euch, in die Stadt zu gelangen.«
Raphael wurde hellhörig. »Die wäre?«
»Indem ihr in das Aussonderungsquartier geht. Das Haus dort vorn.«
Er zeigte auf ein Haus an der Außenseite der Stadtmauer. Es war aus Stein errichtet und zwei Stockwerke hoch. Es besaß keine Fenster, sondern nur vergitterte Öffnungen. Ein ungemütlicher Ort, wie Raphael fand.
»Wie lange sollen wir dort ausharren?«, fragte Amicus. »Eine Nacht?«
Der Soldat lachte hämisch. »Eine Nacht?« Er prustete vor Vergnügen. »Vierzig Nächte!«
Amicus ballte die Fäuste. »Vierzig Nächte? Dir werd ich helfen!« Zornesrot ging er auf den Soldaten los.
Die Soldaten hielten dem aufgebrachten Mann ihre Lanzen entgegen.
»Amicus!«, rief Jeanne und griff nach seinem Arm. »Nicht!«
Der Anführer, gut geschützt hinter seinen Männern, lachte noch immer. »Entweder ihr geht in das Quartier oder ihr macht euch davon.«
»Niemals!«, rief Amicus.
»Wir gehen«, beruhigte Raphael den Freund. Dann fiel sein Blick auf das Wappen, das auf den Schilden der Soldaten prangte. Er erstarrte. Das Wappen war bunt in den Farben Rot, Blau, Purpur, Grün und Gold. In die weiße Einfassung waren kunstvoll kleine schwarze Figuren, Fabeltiere und Menschen mit Schwertern eingearbeitet. Der Untergrund war in verschiedenen Grüntönen gehalten. Es sollte wohl eine Lichtung dargestellt werden, auf der sich, genau in der Mitte des Wappens, zwei große Bären kampfbereit gegenüberstanden. Über den Bären befanden sich zwei gekreuzte Schwerter. »Wem gehört dies Wappen?«, fragte er den Anführer mit zitternder Stimme.
»Was?« Der Soldat machte große Augen. »Ihr kennt den Marquis de Froissy nicht?«
»Wir sind ihm leider nie begegnet«, sagte Raphael.
»Ihm gehört das ganze Land hier«, erklärte der Soldat. »Jeder Stein, jeder Baum und jede Seele, die ihren Fuß auf seinen Boden setzt.«
Raphael dachte kurz nach. »Wir bleiben und gehen in das Quartier«, entschied er.
Amicus sah ihn entgeistert an. »Was sagt Ihr da?«
»Vertraut mir«, raunte ihm Raphael zu.
»Ihr glaubt doch nicht, dass ich mich vierzig Tage lang einsperren lasse!«
Luna trat hinzu. »Bitte, lieber Amicus«, flüsterte sie. »Es ist sehr wichtig.«
Und einmal mehr erlag der große, starke Mann dem Zauber des Mädchens. Die Furchen auf seiner Stirn verschwanden und der Mund formte ein leichtes Lächeln. »In Gottes Namen«, sagte er. »Gehen wir in diesen Kerker.«
Luna gab Amicus einen schmatzenden Kuss auf die Stirn.
»Bringt uns in das Quartier«, sagte Raphael zu den Soldaten.
Der Anführer hielt ihn zurück. »Nicht so eilig. Habt ihr überhaupt Geld?«
»Geld?«, echote Raphael. »Wofür willst du Geld?«
Wieder lachte der Soldat. »Wovon wollt ihr denn vierzig Tage lang
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