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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Fandrey
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erleichtert auf.
    »Vor mir müsst ihr keine Angst haben«, sagte Luna, die strahlend auf Giacomo saß.
    Sofort lief Jeanne zu ihrem Hengst und umarmte ihn. »Ich danke dir, dass du ihn wohlauf zurückbringst.«
    Luna streichelte den mächtigen Kopf des Rappen. »Giacomo ist unbesiegbar.« Sie reckte den Kopf, um an Raphael und Amicus vorbeizusehen. »Ist das Imbert?«
    »Ja«, antwortete Raphael.
    »Ist er tot?«
    Raphael nickte.
    »Gut.« Lunas Stimme klang ungewöhnlich kühl. Sie sprang aus dem Sattel.
    »Euch ist auch wirklich kein Leid geschehen?«, fragte Pierre.
    Luna streichelte seine Wange. »Nein.« Ihre Stimme klang wieder warm und herzlich. »Die Männer konnten Giacomo nicht folgen. Ich habe mich im Wald auf der anderen Seite des Dorfs verborgen gehalten. Als die Ritter aufbrachen, habe ich mein Schlupfloch verlassen und mich auf die Suche nach euch gemacht.«
    »Also dann«, sagte Raphael. »Brechen wir auf und sorgen für ein reichliches Frühstück.«
    Dieser Vorschlag gefiel vor allem Amicus. Und so lief er den anderen stets zwanzig Schritte voraus, um ja der Erste beim Essen zu sein.
Unter dem Zeichen des Bären
    S ie wanderten abseits der Wege nordwärts und kamen nach Les Matelles. Die Stadt lag auf mehreren Hügeln. So waren die schwarzen Fahnen auf den Kirchtürmen schon von weitem auszumachen. Sie schlugen einen großen Bogen um die Stadtmauern. In Causse-de-la-Selle hielt man sie für Pestflüchtlinge und hätte sie um ein Haar in Kerkerhaft außerhalb der Stadt gesetzt. Amicus’ starke Fäuste retteten sie ein Mal mehr.
    Fortan hielten sie sich westlich und durchquerten den Osten des Languedoc. Es war die Zeit der Weinlese. Mönche, Bauern, Grundherren, Junge, Alte, Frauen und Männer verrichteten für wenige Wochen die gleiche Arbeit. Die Kinder der Unfreien, so sie alt genug waren, die Reben unversehrt in die Körbe zu legen, rannten lachend zwischen den Weinstöcken hin und her. Die Menschen sangen altvertraute Lieder, während sie zwischen Morgengrauen und Dämmerstunde die prall gefüllten Körbe in große Tröge kippten, wo emsige Füße den Saft aus ihnen herauspressten. Der Most floss in dunkle Holzfässer. Die Kellermeister fügten nun Zucker und Hefe hinzu – die Gärung begann.
    Oft standen die Freunde mit knurrenden Mägen und durstigen Kehlen am Rand der bunten Hügel und starrten gierig auf das Treiben. Des Nachts stahlen sie im Schutz der Dunkelheit so viele Trauben, wie sie tragen konnten. Auf Ritter des Deutschen Ordens trafen sie nicht mehr. Allmählich wähnten sie sich sicher. Doch Hunger und Durst blieben ihre ständigen Begleiter, und so machten sich Luna und Jeanne in die Städte und Dörfer auf, um Brot und Wein zu erbetteln. Die Männer blieben versteckt im Hinterland und warteten.
    Immer wieder beobachtete Raphael die schweigsame Luna. Sie redete wenig, und wenn überhaupt, dann nur mit Jeanne. Nachts, wenn Luna tief schlief, berichtete Jeanne Raphael von ihren Gesprächen. Der Verlust ihrer Fähigkeiten hatte Luna geistig und körperlich geschwächt. Ihr starker Wille, vormals wie ein reißender Strom unbesiegbar, war verdunstet wie ein Bächlein in der Sommerhitze. Raphael versuchte sich vorzustellen, wie es in Lunas Innerem aussah, doch es gelang ihm nicht. Einmal mehr vertraute er auf Gott und dass der tragische Einschnitt in Lunas Leben vorherbestimmt war – ein weiterer Punkt auf Judas Landkarte.
    Nach drei Wochen erreichten sie die südöstlichen Ausläufer des gewaltigen Zentralmassivs. Das Land wurde karger und trockener. Der Weg führte durch Flüsse und Bäche, zerklüftete Felsen und Hügel, tiefe Schluchten und weite Täler. Kümmerliche Büsche, die keine Früchte trugen, und verdorrte Bäume, an denen kein Blatt mehr wuchs, stellten die einzigen Farbkleckse in dieser graubraunen Welt dar. Die Bewohner des Landstrichs waren arm, aber gastfreundlich. Waren sie auch nicht in der Lage, den Fremden eine warme Mahlzeit zu geben, hatten sie doch immer einen warmen Platz für die kühlen Nächte.
    Eines Abends waren sie in einer kleinen Scheune in Boisset einquartiert. Ihr Gastgeber war ein alter Schäfer, den die Jahre bucklig und fast blind gemacht hatten. Sie saßen auf dem Boden um ein schmutziges Tuch herum, auf dem Käserinden und trockene Brotkrumen verstreut lagen.
    Amicus griff nach einem Stück Käserinde, kaute darauf herum und spie es aus. »Ich habe Schuhe gesehen, die besser schmecken würden.«
    Daraufhin zog Jeanne einen ihrer

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