Hexengewitter
Eisschicht. Die Gesichter der Kriegerinnen brannten. Ihre Körper waren in Decken und Fetzen der Segel gehüllt, die vielen von ihnen zu Leichentüchern wurden. Von Grauen geschüttelt mußte Josnett mit ansehen, wie eine nach der anderen mitten in der Bewegung erstarrte und zur Eistoten gefror. Aber sie mußten weiterkämpfen! Wer jetzt aufgab, war verloren. Allein die Bewegung schützte vor dem Erfrieren.
Ein Lichtblitz zerriß die Dunkelheit. Josnett sah für einen viel zu kurzen Augenblick ein anderes Schiff achtern, das wie die Südwind einen Weg durch die zwanzig, dreißig Fuß hohen Eisberge suchte. Undeutlich nur hörte sie die Rufe der Verlorenen. Eine Woge wuchs steuerbords in die Höhe und spülte Trümmerstücke von gekenterten Schiffen über das Deck. Josnett klammerte sich an der Reling fest, schnappte nach Luft und glaubte, die Kälte müßte ihr die Lungen zerreißen.
Sie lief zum Bug, wobei sie sich an allem festhalten mußte, was einen sicheren Halt versprach. Sie glitt aus und kroch auf allen vieren weiter. Plötzlich kam ihr der furchtbare Gedanke, die Südwind könnte das einzige Schiff sein, das von allen anderen noch übriggeblieben war. Vielleicht hatten ihre verwirrten Sinne ihr das andere achtern nur vorgegaukelt. Verzweifelt suchte sie sich gegen den Wahnsinn zu wehren, der mit eisigen Klauen nach ihrem Verstand griff. Sie brachte kein Wort mehr hervor, kroch weiter, bis sie jäh in die Höhe gezerrt wurde.
Es dauerte eine Weile, bis sie im Schneetreiben Skasy erkannte, die Kriegsstrategin der Narein-Sippe. Skasys Haare waren wie ein Helm aus Eis, der ihr Haupt umschloß. Ihre um den Leib geschlungenen Tücher waren starr. Bei jeder Bewegung sprang Eis ab. Skasy bewegte die gesprungenen Lippen, doch kein Laut drang an Josnetts Ohren.
Ich bin taub! durchzuckte es sie.
Sie befreite sich aus dem Griff der Narein, schlug sogleich wieder auf die Planken und sah die Gischt viele Körperlängen hoch in das Schneetreiben spritzen. Wieder rissen Blitze die Finsternis auf, schoben die Wolken sich auseinander und gaben den Blick frei auf das blutrot durch das weiße Gestöber leuchtende Auge. Um Josnett herum mußte ein fürchterlicher Lärm sein, aber sie hörte nichts mehr.
Zaem! dachte sie verzweifelt. Zaem, ich verfluche dich!
Und wie zur Antwort schlug aus dem Nichts heraus eine feurige Kugel in die Südwind ein, nur wenige Schritte vor Josnetts gefrorenem Antlitz. Die Welt verging in einem Meer aus Licht, in dem feurige Schatten zu tanzen begannen.
Josnett wälzte sich so herum, daß ihre Augen das Deck berührten. Sie hatte nicht mehr die Kraft, sie zu schließen. Doch das furchtbare Licht blieb, und aus den tanzenden Schatten wurden Grimassen des tausendfachen Todes, die Josnett anstarrten und verhöhnten.
Und obgleich sie taub und blind geworden war, fühlte sie doch mit jeder Faser ihres steifen Körpers den furchtbaren Ruck, der sie fortschleuderte, über das Deck gleiten und durch die Reling brechen ließ. Sie sah nicht, wie die Südwind an dem Eisberg zerschellte und auseinanderbrach, hörte nicht die Todesschreie der Amazonen, die dem Kältetod bisher getrotzt hatten, und doch wußte sie in diesen Augenblicken, in denen sie auch das letzte Gefühl für ihren Körper verlor und in die Tiefe stürzte, daß das Schiff seine Führerin um keinen Herzschlag überlebt hatte.
Als ihr Körper in die von einer dünnen Eisschicht überzogenen Fluten schlug, war bereits kein Leben mehr in ihm. In Unfrieden und Verbitterung schied Josnett von dieser Welt. In ihren Gedanken, bevor sie endgültig erloschen, hallte der Fluch nach, den sie der Zaem geschickt hatte.
Sie vernahm die Botschaft der Zaubermutter nicht mehr - die dritte an ihre Heerscharen.
Das letzte, was Skasy bewußt wahrgenommen hatte, bevor sie über Bord gespült worden war, war das Auftauchen des riesigen Eisbergs gewesen, der verheerende Aufprall und das Splittern von Holz. Dann war nichts mehr gewesen. Selbst die Kälte hatte sie nicht mehr gespürt. Sie war in eine Finsternis hineingestürzt, tiefer als die dunkelste Nacht.
Nun fand sie sich auf den Wellen treibend, halb auf einem gesplitterten Segelmast liegend. Um sie herum waren nur Trümmer und Amazonen, die meisten von ihnen tot, einige wenige verzweifelt schwimmend.
Es dauerte eine Weile, bis Skasy glauben konnte, daß das Hexengewitter vorüber war. Die Kälte war gewichen, kein Eisberg mehr in Sichtweite. Schneetreiben und Hagelsturm hatten aufgehört. Die See
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